Schneemond (German Edition)
erkennen, dass sie schon verschiedentlich beobachtet wurden.
»Es würde mich jedoch freuen, wenn wir in den nächsten Tagen Zeit für ein längeres Gespräch finden würden.«
Lukas nickte artig.
»Ich werde Sie morgen oder übermorgen anrufen, damit wir einen Termin vereinbaren können«, versprach sie ihm, schon im Aufstehen. »Einverstanden?«
Lukas erhob sich ebenfalls und nahm ihre, zum Abschied gereichte Hand. Theresa verließ ihn mit der Andeutung eines Lächelns und schlenderte zu einer Gruppe von Leuten, die in der Nähe des Buffet standen und schon darauf zu warten schienen, dass sie sich zu ihnen gesellte. Lukas blieb zurückund in seiner Seele brannte ein Feuer, dass er noch nie in seinem Leben gespürt hatte. Er tat gerade den ersten Schritt auf einem Weg, den er sich nicht vorzustellen wagte und der nur für ihn bestimmt war. Und als ihm dieses Bild vor Augen stand, spürte er
Angst
. Und plötzlich sehnte er sich so sehr nach Maria und ihrer Nähe, dass es ihn schmerzte.
Theresa Jakob war bei Lukas Erzählung nicht erschrocken – sie war zutiefst erschüttert gewesen. Maria hatte ihr erzählt, dass Lukas und Daniel offensichtlich bis zur Ritualhöhle vorgedrungen waren – und das alleine war schon erstaunlich genug. Doch er hatte zudem Zugang zum inneren Kreis erhalten – und das war schier unmöglich.
Das konnte nicht sein. Das
durfte
nicht sein.
Sie wollte die einzig mögliche Schlussfolgerung, die sich daraus ergab, einfach nicht akzeptieren.
So eilte sie durch den Gang, zu ihren privaten Räumen und versuchte, die Angst und das Entsetzen, das langsam ich ihr hochstieg, zu kontrollieren. Sie war erstaunt gewesen, als Lukas ihr so unbedarft und begeistert von Daniel’s und seiner Entdeckung berichtet hatte. Aber als er ihr von dem Emblem und seiner Vision erzählte, da hatte sie, für den Augenblick die Fassung verloren. Natürlich war ihr klar gewesen, dass Lukas eine Reaktion von ihr provozieren wollte – und sie hatte ihm den Gefallen getan.
Unter normalen Umständen hätte sie das geärgert. Aber die Umstände waren nicht mehr normal. Es ging etwas in ihrer unmittelbaren Nähe vor, das sie nicht spüren konnte und womit sie nicht gerechnet hatte. Elisabeth... Rachel.... Die letzte Hoffnung die Ihnen noch verblieben war. Was war mit Ihnen?
Das erste Mal seit unendlich langer Zeit, das aller erste mal, war sie ratlos und verunsichert. Sie hatte ihre Repräsentationspflichten bei dem kleinen Empfang gerade noch so lange erfüllt, dass ihr Abschied nicht unangenehm aufgefallen war und hatte sich dann so überstürzt aus dem Staub gemacht – war förmlich geflüchtet – dass Paul Bovier ihr einen kurzen, erstaunten Blick zugeworfen hatte.
Paul Bovier, ihr
Vorgesetzter
. Paul, ihr lieber und ergebener Freund, der ihr ohne zu fragen so viele Jahre treu gefolgt war.
Sie schüttelte den Kopf, in dem Bemühen ihre Gedanken zu klären. Als sie ihre kleine Wohnung im Südturm des Hauptgebäudes erreichte, schloss sie schnell die Türe hinter sich, versperrte sie und lehnte sich, die Hände vor das Gesicht schlagend, schwer atmend, dagegen. So blieb sie einige Minuten stehen, in denen sie verzweifelt versuchte zur Ruhe zu kommen.
Wie war das nur möglich? Wie hatte Lukas in den inneren Kreis gelangen können?
Schließlich eilte sie durch das Arbeitszimmer und ihr Schlafzimmer in einenangrenzenden, kleinen und fensterlosen Raum, der, mit seinem alten Dielenboden und den grob verputzten und hell getünchten Wänden, eine seltsame und tiefe Ruhe und Friedlichkeit ausstrahlte. Nur eine Kerze brannte, ruhig in einer Ecke, vor sich hin und tauchte die Kammer in ein unwirklich flackerndes Zwielicht. Theresa ließ sich auf die Knie sinken, schloss die Augen und atmete tief durch. Langsam, aber sicher, beruhigte sie sich und sie begann leise eine Melodie zu summen, während sich ihre Atmung an den Rhythmus der Musik anpasste. Minuten verstrichen, in denen sie ihrer inneren Mitte immer näher kam und die Worte die sie sang und die Töne der Melodie, schienen fast greifbar im Raum zu schweben und ein unsichtbares Geflecht um sie zu bilden. Sie sang, in einer uralten Sprache von der Liebe des Lichts und langsam hangelte sich ihr Geist an den unsichtbaren Fäden entlang, welche die materielle und die spirituelle Welt durchzogen und alle Geschöpfe untrennbar miteinander verflochten.
Einsamkeit war eine Illusion. Jeder Gedanke, jedes Wort und jede Tat hinterließen unauslöschliche Spuren und warfen
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