Schneemond (German Edition)
Todesstreifens, der sich entlang der Mauer hingezogen hatte, zurückerobert hatten.
Moore, immer noch vertieft in seine Betrachtungen, merkte nicht, dass ein Auto – ein alter, zerbeulter Golf zwei, dessen einst rotfarbene Karosserie mit Rostflecken übersäht war – neben ihm hielt. Erst als der Fahrer sich herüberlehnte und die Beifahrertür aufstieß, wandte sich Moore der Rostlaube zu, die in dieser vornehmen Gegend seltsam deplaziert wirkte.
»Dr. Moore?«, rief ihm der Fahrer zu und es klang weniger wie eine Frage, als vielmehr nach einer Feststellung.
Moore beugte sich vor und blickte in das ausgezehrte und faltige Gesicht eines alten Mannes, dessen weißes, aber dichtes Kopfhaar ebenso raspelkurz geschnitten war, wie der nicht weniger weiße Vollbart.
»Los Mann, steigen Sie schon ein. Wir haben wenig Zeit.«, bellte der Fahrer Moore an, der keine Anstalten machte, sich aus eigenem Antrieb zu bewegen.
»Sind Sie Markow?«, fragte Moore voll entsetztem Erstaunen.
»Nein, ich bin der Weihnachtsmann und die Bescherung ist heuer vorverlegt.
Natürlich bin ich Markow
. Kommen Sie schon.«
Moore hielt das ganze einen kurzen Augenblick lang für einen schlechten Scherz. Er hatte zuhause alles liegen und stehen lassen, hatte ein kleines Vermögen für die Reise hierher ausgegeben, hatte seine Gesundheit aufs Spiel gesetzt und riskiert, sich mit Forger und dessen Leuten anzulegen – und das alles nur, um auf diesen alten Kauz, mit seiner Schrottkarre, die zu den besten DDR-Zeiten schon alt war, zu treffen? Wenn er nicht so müde und von Schmerzen geplagt gewesen wäre, hätte er jetzt losgebrüllt und diesen ergrauten Spinner erwürgt. Doch noch während er sich überlegte, was er jetzt machen sollte, war Markow schon aus dem Auto gesprungen, hatte sich Moore’s Tasche geschnappt und auf den Rücksitz geschmissen und drängte Moore rücksichtslos durch die Beifahrertüre.
»Rein da, verdammt!«
Moore fand nicht einmal mehr die Kraft zu protestieren und schon war der alte Kerl wieder eingestiegen und fuhr los. Schließlich fing er sich wieder einigermaßen und setzte an, sich zu beschweren.
»Was soll denn das? Halten Sie sofort an und erklären Sie mir gefälligst, was dieses ganze Theater soll!«
Markow schien ihn gar nicht zu beachten und schlängelte sich mit einem Elan und einer Geschmeidigkeit durch den Verkehr, die Moore weder dem Fahrer, noch dem Fahrzeug, in irgendeiner Weise zugetraut hätte.
»Nur die Ruhe Dr. Moore.«, beschwichtigte ihn Markow. »Wenn wir in Sicherheit sind, ist noch genug Zeit für Erklärungen.«
»In Sicherheit? Wieso in Sicherheit? Sind wir denn in Gefahr?«
Markow warf ihm einen kurzen Blick zu, der Moore kalte Schauer über den Rücken jagte, bevor er sich wieder auf den Verkehr konzentrierte.
»
Sie
sind in Gefahr. Und seit Sie bei mir im Auto sitzen, bin ich es auch.«
Das hatte gesessen! Moore starrte den Alten an und wusste minutenlang nicht mehr, was er sagen sollte. Der Regen wurde wieder stärker. Doch Markow schien davon überhaupt keine Notiz zu nehmen, sondern raste mit unverminderter Geschwindigkeit weiter durch den dichten Innenstadtverkehr. Moore fühlte sich zunehmend unbehaglich und beäugte den Fahrer misstrauisch von der Seite. Dieser Mann entsprach so ganz und gar nicht der Vorstellung, die er sich, nach ihrem nächtlichen Telefonat, vonihm gemacht hatte. Markow hatte am Telefon so weinerlich, so unsicher gewirkt. Und nun sah Moore keine dieser Vermutungen bestätigt. Ganz im Gegenteil: Wenn er in seinem Leben je einen Menschen getroffen hatte, der, ein festes Ziel vor Augen, unterwegs war, dann war das Markow. Er fragte sich jedoch langsam, wohin sie diese rasante Fahrt führen würde.
»Wohin fahren wir überhaupt?«, fragte er deshalb, als er die Spannung beim besten Willen nicht mehr ertragen konnte und er befürchten musste, dass Markow von sich aus nicht mit der Sprache herausrücken würde.
»An einen sicheren Ort«, raunte ihm Markow nur zu, ohne ihn anzusehen.
»Und wo befindet sich dieser Ort?«, begehrte Moore zu wissen.
Markow antwortete nicht gleich, sondern sah ihn nur und abschätzend an.
»Sind Sie ein Mensch, der alles im Voraus wissen muss, Dr. Moore?«
»Nein, Mr. Markow, ein solcher Mensch bin ich nicht. Aber wenn ich um den halben Erdball fliege und mich mit einem Mann treffe, von dem ich gar nichts weiß, der allerdings von mir sehr viel zu wissen scheint, und wenn ich von diesem Mann dann auch noch, ohne ein Wort der
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