Schneemond (German Edition)
auf seinem Schoß lag, nicht vertan hatte, dann mussten sie die Autobahn bald verlassen.
»Sind wir noch richtig?«
Braun hatte diese Frage schon mindestens zwanzigmal gestellt und ging Moore damit langsam gehörig auf die Nerven.
»Ich denke schon«, brummte er missmutig und versuchte weiter sich zu orientieren.
Plötzlich stutzte er. »Da, Kurt, langsam! Diese Ausfahrt müsste es sein.«
Er zog die Karte zu Rate und nickte schließlich. »Ja, richtig. Da müssen wir raus.«
Braun gehorchte seinen Anweisungen und zog den Wagen langsam auf den Verzögerungsstreifen der Ausfahrt, der mittlerweile von zähem Schneematsch bedeckt war und das Fahrzeug leicht, aber spürbar, ins Schlingern brachte. Moore gab Braun weiterhin Anweisungen, wohin er fahren sollte und dieser gehorchte kommentarlos. Als sie schließlich auf einer schwach befahrenen Straße Richtung Osten unterwegs waren, warf Braun einen kurzen, nervösen Blick auf seinen Beifahrer.
»Hören Sie, Sam. Nicht, dass ich Ihnen nicht trauen würde. Aber wohin fahren wir eigentlich?«
Moore schloss die Augen und versuchte sich die Müdigkeit aus dem Gesicht zu streichen. Was sollte er dem Mann denn sagen? Was
konnte
er ihm sagen, was er ihm die letzten Stunden nicht schon gesagt hatte? Das Dossier, das er von Markow gerettet hatte erging sich in tausend Andeutungen, war aber ansonsten erschreckend unbrauchbar. Das hatte er jedenfalls gedacht, als er es das erste Mal durchgearbeitet hatte. Eine Adresse oder gar ein Name, der ihnen bei der Suche nach der letzten der goldenen Seelen hilfreich hätte sein können, war jedenfalls nirgends zu finden. Doch plötzlich hatte es in seinem Kopf zu arbeiten begonnen und als er die Augen schloss, hatten sich Visionen und Bilder eingestellt.
Nach und nach wurde ihm klar, dass
er
die Karte war, die sie an ihr Ziel führen würde. Es war wie eine Verbindung, die hergestellt wurde, wie ein Schloss, das einschnappte. Er konnte
Sie
spüren, konnte
Sie
fühlen, wie ein Drängen, eine unbestimmte Sehnsucht.
Und langsam begann er den Weg, den sie gehen mussten, um zu
Ihr
zu gelangen, vor seinen geschlossenen Augen zu sehen. Nicht in seiner Gänze, sondern eher so, wie durch dichten Nebel – immer ein Stück weit. Nach und nach tauchten die Wegmarken aus diesem Nebel seines Geistes auf und er
wusste
, dass sie richtig waren.
Und ohne dass es Moore bewusst wurde, ließ er das erste Mal in seinem Leben nicht nur Gefühle zu. Nein, er
verließ
sich voll und ganz auf sie, vertraute ihnen sein Leben und das eines anderen Menschen an, ohne Frage und ohne Zweifel. Und so hatten sie sich bis hier her getastet und Moore spürte, dass sie ihrem Ziel immer näher kamen.
Doch Braun war diese ganze Angelegenheit suspekt – und Moore konnte ihn durchaus verstehen. Er hatte versucht, seinem Partner diese Sache zu erklären. Aber Braun hatte sich mit dieser Tatsache nur missmutig und zögernd abgefunden. War es die Abhängigkeit, in der er sich Moore gegenüber befand, oder die Ungewissheit ihrer Reise – seine Unzufriedenheit war ihm deutlich anzusehen. Doch daran konnte Moore nichts ändern.
Also fuhren sie in stillschweigender Übereinkunft weiter in die zunehmende Dunkelheit.
Kaum mehr zehn Kilometer hinter Moore und Braun hetzte der Konvoi mit Goran im ersten Fahrzeug heran. Er hatte seine Leute die vergangenen Stunden vorangepeitscht, mit einer gnadenlosen Vehemenz, die sogar den großen Slawen erschreckte. Doch Goran hatte auch die letzten Reste von Rücksichtnahme, mit der er ohnehin nie überreichlich gesegnet war, über Bord geworfen. Denn er hatte den Geruch seiner Beute in der Nase und nichts und niemand würde ihn jetzt noch aufhalten.
Ihm war schon klar, dass ihn diese beiden Bastarde zu einem noch viel lohnenderen Ziel führen würden, aber das änderte nichts an seinem Rachedurst. Man hatte dem Pittbull den Knochen aus dem Maul gerissen und dafür würde er dem Dieb den Arm abreißen. Er wollte die beiden Scheißkerle nicht einfach nur umbringen. Nein, er würde sie bei lebendigem Leib häuten und ausbluten lassen. Er würde ihnen jeden Knochen im Leib brechen und genüsslich zusehen, wie sie, wimmern und hilflos, verrecken würden. Diese und ähnliche Bilder, die er sich auf ihrer Hetzjagd immer und immer wieder ausgemalt hatte, brachten ihn zum träumen und jagten ihm prickelnde Schauer durch den Körper. Er würde seinen Auftrag schon erfüllen und das Ziel erledigen, zu dem Moore und Braun unterwegs waren –
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