Schneemond (German Edition)
Vorstellungen.
»Und, Herr Seger, seien Sie ehrlich zu sich selbst. Beweinen Sie nicht auch
Ihr
Leben?«
Lukas starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Wie konnte dieser Pfaffe es nur wagen? Aber noch bevor der Zorn zu voller Größe in seinem Herzen wachsen konnte, machte sich die bittere Erkenntnis in ihm breit, dass der Pater damit den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Und so schmerzhaft diese Einsicht auch war, so brachte sie ihn doch endlich, seit so langer Zeit, den entscheidenden Schritt voran, um den Unfall und den Tod von Eva und Sara verarbeiten zu können. Lange saßen sich die beiden Männer schweigend gegenüber, während draußen der Tag mit einem Sonnenuntergang, der den Himmel rot und golden überzog, zur Neige ging.
Schließlich hob Lukas den Kopf und sah den Priester von unten herauf an. »Sie sind ein verdammt hartnäckiger und sturer Hund, Pater«, sagte er leise.
Pater Stefan grinste ihn spitzbübisch an.
»Danke für das Kompliment«, antwortete er.
Sie standen beide auf und reichten sich in stiller Übereinkunft die Hand. Lukas wandte sich zum Gehen, als sein Blick auf einige gerahmte Fotografien auf einer kleinen Kommode fiel. Ohne die Erlaubnis seines Gastgebers einzuholen, nahm er eines der Bilder und betrachtete es lange. Schließlichhielt er es Pater Stefan hin.
»Wer ist der Mann da auf dem Foto neben Ihnen?«, fragte er mit belegter Stimme.
Der Pater sah in fragend an, nahm schließlich das Bild und warf einen kurzen Blick darauf.
»Mein Vater. Warum fragen Sie?«
Das Foto zeigte den Priester lachend und den Arm um einen älteren Herrn gelegt. Beide Männer strahlten in die Kamera und hatten Regenjacken an, was wohl ein Hinweis darauf war, warum ihre Gesichter vor Nässe glänzten. Die Szene vermittelte den Eindruck, dass sich Vater und Sohn bestens verstanden und, an diesem Tag zumindest, ein Herz und eine Seele waren.
Lukas starrte weiter auf das Bild – und in das Gesicht von Dr. Heimann, seinen Arzt in München, der ihn die letzten Jahre Stück für Stück wieder aufgepäppelt hatte.
Und hier war er nun bei Dr. Heimann’s Sohn gelandet, der dabei war mit einem einzigen Gespräch das zu vollenden, was sein Vater so erfolgreich begonnen hatte – Ihn wieder lebensfähig zu machen.
Und Lukas konnte und wollte einfach nicht an einen Zufall glauben.
Kapitel 16.
D ie Geräusche waren undefinierbar und schienen von überall her zu kommen. Als er, mit einer fast übermenschlichen Anstrengung, versuchte seine, so unglaublich schweren Lider aufzuschlagen, stach ihm das Licht plötzlich grell und unbarmherzig, wie Flammenzungen in die Augen und er stöhnte leise auf. Er spürte undeutlich eine sanfte Berührung an seiner Schulter.
»Mr. Moore, können Sie mich verstehen?«
Die Stimme sprach leise, unmittelbar in seiner Nähe und allmählich und träge wurde ihm klar, dass diese Stimme zu einer Frau gehörte. Vorsichtig startete er einen zweiten Versuch, die Augen zu öffnen. Noch immer war das Licht bleich und grell, jedoch jetzt weniger schmerzhaft, als beim ersten Mal. Er konnte aber nur Konturen erkennen und höchstens helle und dunkle Flächen unterscheiden, was jedoch insofern keine große Rolle spielte, als sein Gehirn ohnehin nicht in der Lage war, selbst diese spärlichen Eindrücke zügig zu verarbeiten.
»Mr. Moore?«
Wieder diese Stimme und wieder dieser Name. Zäh wie Honig flossen ihm Erinnerungen zu und langsam wurde ihm klar, dass dieser Name zu
ihm
gehörte. Er musste dringend über diese Erkenntnis nachdenken, doch die Stimme ließ ihm keine Zeit.
»Mr. Moore, sind Sie wach?«
Die Hand an seiner Schulter schüttelte ihn leicht. Er wollte diesen Störenfried abschütteln, ihn verscheuchen, doch als er sich zu einer abwehrenden Bewegung entschlossen hatte, schien sein Körper überhaupt nicht zu wissen, was er denn eigentlich von ihm wollte und blieb stattdessen still und unbeeindruckt liegen.
»Mr. Moore?«, drängte die Stimme weiter.
Er wurde langsam ungehalten und wollte dieser Dränglerin sagen, dass sie ihn gefälligst in Ruhe lassen sollte. Doch das Ergebnis war nur ein heißeres Grummeln. Die Stimme jedoch schien mehr als zufrieden zu sein.
»Bleiben Sie ganz ruhig Mr. Moore. Ich hole gleich einen Arzt.«
Und damit ließ Sie ihn tatsächlich zufrieden, zumindest für den Augenblick. Moore versuchte sich zu orientieren, was ihm durch seinen allmählich zurückkehrenden Gesichtssinn erheblich erleichtert wurde. Auch sein Körper schien sich
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