Schneenockerleklat
Kostümierung als Ludwig XIV., der Sonnenkönig. Und exakt
so gebärdete er sich auch. Umgeben von schönen jungen Polizeikolleginnen in
eleganten Kleidern der Epoche, ließ er sich von einer Schar livrierter Lakaien
bedienen, ganz so, als ob es die Französische Revolution nie gegeben hätte.
Gleich wurde es 23 Uhr, und das Fest kam und kam nicht in
Schwung. Hätte Palinski ein Zimmer gehabt oder zumindest ein Bett, irgendwo,
wohin er sich hätte zurückziehen können, er hätte wohl ernsthaft überlegt, auf
diesen traurigen Abklatsch eines gesellschaftlichen Ereignisses zu verzichten
und etwas Schlaf nachzuholen.
Aber das Hotel war immer noch überfüllt. Wilma
teilte sich nach wie vor ein Zimmer mit Geneva Post, die sich jetzt Kinshasa
Garni nannte. Also, ob der Name das Gelbe vom Ei war, Palinski hatte so seine
Zweifel. Wie auch immer, ihm stand noch eine weitere Nacht in der Halle, im
kuscheligen Fauteuil in der linken Ecke hinten bevor.
Täuschte er sich, oder tanzte die zauberhafte Maria Walewska,
mit der Palinski auf das Fest gekommen war, noch immer mit diesem Fernand
Leclosé, dem Chef-Inspecteur der Toulouser Polizei? War dieser notorische
Charmeur und Schwerenöter gerade dabei, die frankophile Neigung Wilmas zu
seinem Vorteil zu nutzen, oder bildete sich Palinski das nur ein? Er war doch
nicht etwa eifersüchtig auf den gut aussehenden, an den jungen Alain Delon
erinnernden Franzosen?
Nein, doch nicht Palinski.
Ein als Hofnarr verkleideter Mensch war zu ihm getreten, um
ihm eine Botschaft zu überbringen. Es klang allerdings mehr wie ein Befehl, als
der Mann ihm ausrichtete, Sir Millfish wünschte ihn zu sprechen. Immediately,
if you please.
Na gut, jetzt war nicht die Zeit, Prinzipienstreitigkeiten
mit dem möglichen zukünftigen Schwiegervater Florians auszutragen. Seine
Fantasie war ja noch ganz gut in Schuss an diesem Abend, dachte Palinski und
grinste.
Dann teilte er Sir Peters Büttel mit, dass es ihm
gleich ein Vergnügen sein würde, und blieb noch etwas sitzen. Etwas Trotz war
er seinem Selbstbewusstsein schon schuldig.
Inzwischen hatte das Servierpersonal mit dem Auftragen der
letzten Position der heutigen Menükarte, einem Sorbet von der frischen grünen
Minze, begonnen.
Als Palinski wenige Minuten später neben Sir Peter Platz
nahm, fand er den intensiven Minzegeruch daher auch nicht verwunderlich und
schon gar nicht störend.
Was dagegen plötzlich sehr unangenehm auffiel, war dieser
uaaaa schreckliche Mundgeruch, der Mario auf seltsam perverse Art vertraut
vorkam.
Das war exakt derselbe bestialische Gestank, dem er schon
einmal im Zug ausgesetzt gewesen war. Ja, genau, als ihn Sven Eglitz nach Sir
Peter Millfish gefragt hatte. Sven Eglitz, der seither als spurlos verschwunden
galt. Es aber offenbar nicht war, denn dieser einmalige Mundgeruch konnte nur
eines bedeuten. Davon war Palinski überzeugt, blickte auf und in das bebrillte Gesicht
des Obers, der eben ein kunstvoll geschliffenes Bergkristallglas mit dem grünen
Halbgefrorenen aus Wasser vor Sir Peter stellte. Mit einer seltsam wirkenden,
nussbraunen Sauce on the Top.
»Sven Eglitz!«, zischte Palinski halblaut. »Sie müssen Sven Eglitz
sein, Sie Schwein!«
»Nein!«, hauchte der Mann und ließ eine speziell auf Mario
fokussierte Ladung Maulfäulnis los, die unbeschreiblich war.
»Ich bin nicht Sven Eglitz, ich bin Stefan Kerthészy.« So
viel Offenheit hätte Mario um ein Haar zum Kotzen gebracht. So ein Mensch
durfte doch, bei allem Mitgefühl, nicht im Service arbeiten.
Aus den Augenwinkeln bemerkte Mario, wie Sir Millfish nach
dem Sorbet greifen wollte. Er brüllte: »Nein!«, sprang auf und stieß das Glas
weg.
Gleichzeitig bemerkte er, wie ein hoher Geistlicher
mit einer Pistole in der Hand neben diesem Stefan aufgetaucht war.
Der Lauf der Waffe richtete sich langsam auf die Schläfe des
jungen Slowaken. Mundgeruch hin oder her, aber das hatte sich der Mann auch
wieder nicht verdient.
Palinski brüllte neuerlich los. Sein »Nein!« war womöglich
noch lauter als das erste. Gleichzeitig hieb er dem Kirchenmann, einem
Kardinal, der monoton ›Per te, Carlo, solo per te‹ vor sich hin murmelte, mit
aller Kraft auf den Arm.
Es sollte nie ganz geklärt werden, ob der nun folgende Schuss
dadurch ausgelöst oder unabhängig davon abgefeuert worden war. Auf jeden Fall
traf die Kugel nicht die Schläfe, wie sie das wohl ohne Beeinflussung getan
hätte, sondern nur
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