Schneenockerleklat
notwendigen Maßnahmen zu treffen.
*
Für das unter enormem Schlafdefizit leidende
Gehirn Palinskis nahm das seltsame Treiben um ihn herum langsam optisch und
auch akustisch die Form eines Danse macabre an. Seltsam langsam, fast wie in
Zeitlupe bewegten sich die verschiedenen Figuren dieses Spiels auf und ab und
hin und her. Und folgten der stets gleichen und doch immer wieder neuen
Choreografie der Vergänglichkeit des ewigen Lebens.
Der absurde Abgang eines jungen Mannes, der – aus welchen
Gründen, war noch nicht bekannt – vergiftete Süßspeisen in Umlauf gebracht und
dadurch schließlich selbst sein Leben verloren hatte, war den meisten doch
etwas unter die Haut gegangen.
Dennoch, als einzige offizielle Reaktion auf das schreckliche
Geschehen vor weniger als einer Stunde hatte das Orchester aufgehört, zum Tanz
aufzuspielen. Stattdessen sorgte jetzt ein Pianist auf wirklich recht dezente
Art für einen unaufdringlichen musikalischen Hintergrund.
Mario kam es vor, als wäre eben der Tod selbst an ihm
vorbeigegangen, hätte ihm beiläufig zugenickt und dann den Raum verlassen. Tatsächlich
war es aber Sir Frederick gewesen, dessen Sonnenköniggehabe ihm aufgefallen
war. Ob der alte Herr schon genug hatte und zu Bett ging?
Sir Peter war noch voll auf Zug, also am Saufen. Der
steinreiche Verleger hatte mit Champagner begonnen, sich im Verlauf des Abends
nur kurz beim Wein aufgehalten und war nun schon längst bei seinem geliebten
Whiskey gelandet.
Mit ey wohlgemerkt, womit er seine Vorliebe für Bourbon ganz
dezent zum Ausdruck brachte.
Natürlich trank Sir Peter auch Scotch, ja selbst
Canadian Whisky, vor allem, ehe er durstete. Aber wenn er es sich aussuchen
konnte, dann war ihm ein guter Kentucky, aber auch eine der Malt-Spezialitäten
von der Grünen Insel schon lieber. Nun schlenderten Carol Millfish und Florian
Nowotny vorbei, ein wirklich schönes Paar und hervorragendes Beispiel für das
Zusammenwachsen Europas in wirklich allen Bereichen. Wenn daraus was wurde,
dann gab es echte kleine Europäer, freute sich Palinski. Schalt sich aber
gleichzeitig auch für die gedankliche Einmischung in Bereiche, die ihn wirklich
nichts angingen.
Als das Paar den Tisch Sir Peters erreicht hatte, mühte sich
Carols Vater schwankend hoch. Dann deutete er sichtlich verärgert auf den
Freund seiner Tochter, schien ihn vom Tisch zu weisen, wegjagen zu wollen.
Florians Körpersprache signalisierte Widerstand,
doch Carol schien ihn zu beruhigen, wirkte auf ihn ein, ja schickte ihn weg.
Widerwillig räumte Palinskis Assistent das Feld. Als er am Tisch seines halb
visionierenden Chefs vorbeikam, blieb er stehen.
»Ich hätte was zu besprechen!«, kündigte er leicht trotzig
an. »Darf ich mich setzen?«
»Was soll der Unsinn?« Palinski blinzelte Florian fragend an.
»Natürlich kannst du dich setzen. Aber besprechen will ich jetzt nichts«, er
gähnte demonstrativ, »ich bin zu müde und nicht aufnahmefähig.«
»Ich versuche ja auch erst seit zwölf Stunden, einen Termin
mit dir zu bekommen!«, maulte Florian.
Und war nicht zu Unrecht etwas sauer, musste Palinski
zugeben. »Tut mir leid, aber es ist ständig etwas anderes los gewesen. Um was
geht es denn?«
»Hier«, Florian legte einen Schnellhefter auf den Tisch, »ein
interessantes Dossier. Falls Sir Peter etwas zustoßen sollte, könntest du da
drinnen einiges zum möglichen Motiv finden. Im Internet …«
»Das kannst du nicht mit mir machen, Vater!«, erregte sich da
Caroline Millfish in einer Lautstärke, die den familiären Streit zu einer
öffentlichen Angelegenheit machte.
»Du hast keine Ahnung, was ich alles mit dir machen kann oder
nicht, du dummes Ding!«, brüllte ihr Vater zurück.
Darauf sie: »Du bist ein Tyrann, ich werde von zu Hause
weggehen. Ich hätte das schon längst tun sollen, aber Mutter …«
Zwei klatschende Geräusche, wie sie kräftige Ohrfeigen eben
verursachten, die Sir Peter seiner Jüngsten eben verpasst hatte, ließen
Carolines Satz unvollendet.
Florian war schon nach dem ersten lauten Satz aufgesprungen
und unterwegs zu Sir Peters Tisch.
Nach den beiden Ohrfeigen wäre aber auch Palinski zum
Eingreifen bereit gewesen. Er hasste es, wenn Meinungsverschiedenheiten nicht
verbal, sondern mit Gewalt gelöst wurden. Dazu kam noch, dass er absolut nicht
verstehen konnte, warum Eltern ihre Kinder und Männer ihre Frauen schlugen.
Dass die Schläger ihre Opfer
Weitere Kostenlose Bücher