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Schneerose (German Edition)

Schneerose (German Edition)

Titel: Schneerose (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maya Shepherd
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ihrer Hände noch auf
ihrer Haut kitzeln, an der der kleine Schnitt schon längst verheilt ist.
    „Entschuldige“,
presst Tru leise hervor und eilt zu der Wand, ohne sich noch einmal nach Lia
umzudrehen. Lia starrt ihr wie hypnotisiert hinterher, ohne sich zu rühren. Die
Gänsehaut ist immer noch da und ebbt nur langsam ab.
    Wie
von Geisterhand öffnet sich eine Tür in der Wand und Tru tritt auf die erste
Stufe einer Geheimtreppe, die sich nach unten windet. „Kommst du?“, ruft sie
noch und geht los, ohne auf Lia zu warten.
    Verwirrt
schüttelt Lia den Kopf und folgt ihr. Was ist nur los mit ihr? Sollte sie nicht
vor Sehnsucht nach Orlando zerfließen? Stattdessen wirft sie diese winzige
Berührung von Tru völlig aus der Bahn. Kann man wirklich in zwei Menschen
gleichzeitig verliebt sein?
    Die
Stufen knarren laut als sie in das untere Gemäuer des Anwesens vordringen. Es
herrscht vollkommene Dunkelheit, die nur von ein paar altertümlichen Ölfackeln
an den Wänden durchbrochen wird. Der Geruch von Feuer und Fäulnis liegt in der Luft.
Nach wenigen Treppenstufen erreichen sie das untere Stockwerk. Kalt ist es hier
und die Wände glänzen feucht im Licht der Fackeln. Vor ihren Augen erstreckt
sich ein großer Saal, in dessen Mitte ein goldener Stuhl thront. Um ihn herum
sind mehrere Holztische gruppiert. Glänzende Porzellangläser und Goldbesteck
liegen auf den Tischen, so als sei vor nicht all zu langer Zeit hier noch
gespeist worden. Es war oder IST also jemand hier. Lias Herz beginnt wild zu
klopfen, während sie mit Tru von einer Tür zur anderen schleicht. So alt das
Anwesen auch wirken mag, umso moderner sind manche der Räume. In vielen von
ihnen befinden sich leere, jedoch noch angeschlossene Kühlschränke. Sie würde
tippen, dass sie dort sonst ihren Blutvorrat gelagert haben. Andere Zimmer sind
bestückt mit Betten und Schränken, gar nicht so viel anders wie ihr eigenes
oder Trus Zimmer, nur dass die Fenster fehlen. Vor einem der Zimmer hält sie
inne. Es unterscheidet sich optisch kaum von den anderen. Ein schwarzes
Eisengestell bildet das Bett, auf dem ein schwarzer Samtüberwurf liegt. Der
dunkle Kleiderschrank ist bis auf ein paar zerknitterte weiße Hemden leer
geräumt und doch fesselt sie irgendetwas an diesem Zimmer. Sie glaubt einen
schwachen Geruch nach Schnee wahr zu nehmen. Neugierig steuern ihre Füße in das
Innere. Nicht ein Bild hängt an den Wänden. Es gibt keinerlei Anzeichen auf die
Persönlichkeit seines ausgereisten Bewohners, doch dann entdeckt Lia unter der
schwarzen Samtecke ein Stückchen weißes Papier hervorblitzen. Sie bückt sich
und hebt es auf. Ein elektrischer Schlag zischt durch ihre Finger und sie hält
die Luft an als sie erkennt, was sie dort in den Händen hält. Es ist ein
Gemälde aus Kohle, das ein Mädchen mit traurigem Blick zeigt. Ihr Blick ist dem
Mond entgegengerichtet, während ihr glattes Haar die Hälfte ihres Gesichts
verdeckt. Das Mädchen ist sie.
    Die
Striche sind fein und zögerlich, doch bilden sie zusammen eine Einheit.
Besonders ausgeprägt sind ihre Augen abgebildet worden. Sie wirken fast so echt
als würden sie jeden Moment blinzeln. Ihre Finger streichen über das Papier und
sie spürt die feinen Linien unter ihren Fingerspitzen. In der rechten Ecke hat
der Künstler eine Signatur in Form eines O’s hinterlassen. Orlando. Ihr Herz
schmerzt plötzlich in ihrer Brust und sie weiß, dass er weg ist und nicht
wiederkommen wird. Manchmal erkennt man erst den Wert eines geliebten Menschen,
wenn man ihn bereits verloren hat. Er ist gegangen, ohne zurück zu blicken oder
sich von ihr zu verabschieden. Und alles, was ihr von ihm geblieben ist, ist
das Bild, das sie in ihren Händen hält.

 
    Trus Hand legt sich tröstend auf Lias
Schulter. „Sie sind weg.“
    Lia zuckt zusammen. „Sollte dich das
nicht freuen?“
    Tru schüttelt den Kopf. „Ich kann mich
nicht freuen, wenn du traurig bist.“
    Sofort tun Lia ihre unüberlegten Worte
wieder leid. Warum muss sie Tru nur immer so anfahren? Im einen Moment ist sie
wie geblendet von ihr und sehnt sich nach ihrer Berührung und im nächsten
Moment weist sie sie mit eisigen Worten von sich. Tru muss sie für vollkommen
gestört halten.
    „Lass uns wieder gehen!“, schlägt sie
vor, ohne weiter auf Lia einzugehen. Diese nickt und steckt sich das Bild
flüchtig in ihre Jackentasche. Sie steigen die Treppe hinauf und gerade als sie
fast oben angekommen sind, wird Tru plötzlich zur Seite

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