Schneerose (German Edition)
bei der es
auf Gegenseitigkeit beruht. Selbst heute kann Mary den Liebeskummer von seinen
Augen ablesen. Er hat sich in den letzten Wochen verändert. Verblasst sind die
überheblichen Züge in seinem Gesicht, ersetzt durch fast fromme
Ernsthaftigkeit. Ihr gegenüber ist er fürsorglicher und aufmerksamer denn je.
Auch jetzt streckt er ihr, ganz Charmeur, seinen Arm entgegen. Bereitwillig
hakt sich Mary bei ihm unter. Gemeinsam treten sie den Weg zur Dorfmitte an. Das
große Freudenfeuer sendet seine Rauchfahnen bereits in den sternenklaren
Himmel. Tänzerinnen mit durchsichtigen weißen Stoffumhängen tanzen in kurzen
roten Kleidern barfuss um das Feuer. Ihre Kehlen sind geziert von roten
Bissspuren, was erklärt, warum ihnen die Kälte nichts anhaben kann. Wie in
Trance blicken ihre Augen ins Leere. Kain liegt mit Nemesis an seiner linken
Seite auf verschiedenen Fellen vor dem Feuer. Als er Mary erblickt, winkt er
sie und Orlando großzügig zu sich und weist ihnen den Platz zu seiner Rechten.
Neidisch folgen ihnen die Blicke der anderen Vampire. Die Ehre neben dem
Urvater der Vampire sitzen zu dürfen, hätte gern ein jeder für sich
beansprucht. Victor, der besonders scharf auf diese Position gewesen wäre,
wurde dazu verdammt als stummer Sklave die anderen Vampire mit Gläsern voll
Blut zu bedienen. Ein höhnisches Grinsen gleitet über Marys Gesicht als sie
sich eines der Gläser von seinem Tablett nimmt. Seine Augen versprechen Rache.
Nach der Vorstellung der Tänzerinnen, tritt Nanuk
mit einer Trommel in den Schein des Feuers. Die Musik verstummt. Die Trommel
ist mit einem Rentierfell bespannt. An den Rändern baumeln kleine Glöckchen,
die bei jeder Bewegung fröhlich klingeln. Er lässt sich auf seine Knie nieder
und beginnt die Trommel zu schlagen. Nemesis beugt sich zu Kain und erklärt ihm
flüsternd, was nun passiert: „Nanuk ist ein Schamane. Durch das Schlagen der
Trommeln, versetzt er sich in das Reich der Toten und wird in die Zukunft
sehen.“
Kain nickt, doch in seinem Blick liegen Zweifel.
Nanuks Lied ist erst traurig, gewinnt dann aber an
Geschwindigkeit, immer unregelmäßiger werden seine Schläge. Sein Körper beginnt
leicht vor und zurück zu wippen, bis er plötzlich die Augen aufreißt, in denen
nur noch das Weiße zu sehen ist. Er beginnt unkontrolliert zu zucken. Schaum
bildet sich vor seinem Mund und blutige Tränen rinnen über seine Wangen.
Geschockt blickt Mary zu Nemesis, doch diese zeigt sich unbeeindruckt, sodass
Mary annimmt, dass es normal zu sein scheint. Auch Orlando setzt sich unruhig
neben ihr auf.
„Sollte ihn nicht jemand aufwecken?“, flüstert er
besorgt, doch in dem Moment beruhigt sich Nanuk wieder und beginnt erneut die
Trommeln zu schlagen. Seine Schläge fühlen sich fester und dunkler an. Auch
sein Schatten, den sein Körper vor dem Feuer wirft, scheint gewachsen zu sein.
Als er seine Augen wieder öffnet, haben sie zwar ihre alte Farbe, doch trotzdem
wirkt der sonst so freundliche Nanuk verändert. Mary bildet sich ein Trauer in
seinem Blick zu lesen. Kain hebt seine Hand als Zeichen, dass die Vorstellung
hiermit beendet ist.
„So sprich Nanuk, Schamane der Dolganen, was hast du
auf deiner Reise ins Tal der Toten gesehen?“
Nanuks Stimme ist ein Krächzen, als er antwortet:
„Ich sah das Licht, mein Vater.“
Licht in Verbindung mit Vampiren ist selten ein
gutes Zeichen und erweckt Kains Unwillen. „Das ist alles?“, fordert er zornig.
„Nein Vater, ich sah den Tod. Asche lag in der Luft
und das Schlagen von Herzen erfüllte die Welt als die Sonne den neuen Tag
gebar.“
Schlagende Herzen sprechen genauso wenig für
Vampire, wie Licht. Wütend ballt Kain seine Hände zu Fäusten und springt auf.
Nemesis versucht ihn zu zügeln. „Verzeih ihm, er
weiß es nicht besser. Nanuk ist ein treuer Sohn, er würde dich nie belügen.“
Dieser verneigt sich vor ihm. „Ich bin nur ein
Diener der Geister, ich habe keinen Einfluss auf die Bilder, die sie mir
senden.“
Nemesis nickt eilig. „Vielleicht ist es nur eine
Warnung. Sie wollen uns Vorsicht lehren.“
Kains angespannten Muskeln lockern sich leicht.
Seine Faust löst sich und er streichelt Nemesis über ihr schönes Gesicht mit
der gebräunten Haut, bevor er sich den anderen Vampiren zuwendet, die geschockt
von Nanuk zu ihm blicken.
„Weder Geister, Dämonen, noch gar Menschen können
uns aufhalten. Wir haben unser Schicksal selbst in der Hand. Mit dem Schwert in
unseren Händen werden wir es
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