Schneerose (German Edition)
seine Macht unter Beweis stellen.
Ein erschrockenes Aufkreischen geht durch die Menge.
Feiernde Vampire eilen auseinander, durch sie hindurch bahnt sich Nanuk seinen
Weg. Er steht in Flammen. Feuer umschließt seinen gesamten Körper, doch sind
seine Schritte ohne Hast. Er breitet die Arme aus wie ein gefallener Engel.
Seine letzten Worte hallen in die Nacht: „Heißt den Tod willkommen, er wird
weder euch noch mich verschonen. Lieber sterbe ich in Freiheit als zerfetzt auf
einem Schlachtfeld.“
Sein Schmerzenschrei brennt allen noch in den Ohren
als sein Körper bereits zu Asche zerfällt ist und sich in alle
Himmelsrichtungen verteilt. Angst und Tränen erfüllen die Dunkelheit. Vorbei
ist jedes unbekümmerte Lachen und Feiern. Es gibt nichts zu preisen, sie alle
sind dem Tode geweiht. Nanuk wählte sein Schicksal lieber selbst als es Kain zu
überlassen. Mary kann ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Die Panik, die sie
lange tapfer zurückgehalten hat, tritt an die Oberfläche. Sie will das Leben
eines Vampirs nicht, aber sie will auch nicht sterben. Nie könnte sie sich
selbst umbringen, wie es Nanuk tat. Orlando drückt sie an sich und verschließt
ihr die Augen vor den brennenden Überresten des Schamanen. „Ich beschütze dich,
ich lasse nicht zu, dass dir etwas passiert.“, wispert er ihr beruhigend ins
Ohr.
Kain tritt in die Mitte. Seine Füße zermalmen Nanuks
glühende Asche zu schwarzem Staub.
„Mein Sohn hat uns ein Zeichen gesetzt. Die Zeit des
Aufbruchs ist gekommen. Erhebt euch meine Kinder und folgt mir in eine
ruhmreiche Zukunft.“
Wie Nanuk zuvor hebt er die Hände zum Himmel, doch
die Jubelschreie bleiben aus. Er dreht sich um und verlässt das Lagerfeuer.
Nemesis ist die Erste, die ihm folgt, mit ihr alle anderen. Orlando und Mary
nicht ausgenommen. Wie Opferlämmer auf ihrem Weg zur Schlachtbank trotten sie
Kain treu zu den Höhlen hinterher. Ihre Öffnung wirkt wie der Mund einer
Bestie, nur die scharfen Zähne fehlen. Kain hält inne, um die letzte Ansprache
an seine Kinder vor ihrer Reise zu halten.
„Diese Höhle führt in einen Tunnel. Dieser wird uns
leiten. Dort wo alles begonnen hat, soll unser Schicksal besiegelt werden. Der
Tafelberg wird unser Schlachtfeld sein. Selbst die aufgehende Sonne werden wir
vertreiben.“
Ein Murmeln geht durch die Vampire. Ein schier
endloser Weg durch die Finsternis eines Tunnels liegt vor ihnen. Wer bisher
keine Angst verspürte, bekommt sie nun.
„Den Zweiflern unter euch bleibt nur der Tod, so wie
Nanuk ihn wählte.“, droht Kain ihnen und schreitet ins das schwarze Nichts.
Mary denkt erneut an Nanuks weisen Worte, dass sich das Böse immer im Düsteren
verbirgt. Orlando ergreift fest Marys Hand und folgt dem Vater in die ewige
Dunkelheit, ein Ort ohne Licht und Schatten.
„Hier haben wir sie zuletzt gesehen!“, beteuert
Lindsay reumütig an einer verlassenen Feuerstelle am Strand. Weit und breit ist
nichts von Lia zu sehen. Auch die Spuren des gewaltigen Regengusses sind längst
verblasst, so als hätte es weder Lia noch den Regen je gegeben. Unschlüssig
blickt Tru den Strand auf und ab. Außer ihnen ist keine Menschenseele in Sicht.
Ruinen ragen aus den Fellformationen auf und Krähen kreisen in der
Morgendämmerung über den verlassenen Bauten.
„Vielleicht hat sie endlich gefunden, wonach sie gesucht
hat.“, gibt Chasity zerstreut zu bedenken.
„Sie wäre nicht einfach gegangen, ohne uns Bescheid
zu sagen.“, kontert Tru jedoch bestimmt. Doch Mike und Lindsay senken
gleichzeitig schuldbewusst den Blick.
„Vielleicht doch...“ Mike erzählt den anderen, was
am späten Abend zwischen ihm und Lia vorgefallen ist. Lindsays Beschimpfung
lässt er dabei jedoch gewissendlich aus. Bei der Erwähnung des Kusses wird er
ganz rot im Gesicht und starrt auf seine Schuhspitzen. Erst als Lindsay ihm
ermutigend die Hand drückt, wagt er es wieder den Blick zu heben.
In Trus Augen steht blanke Wut. „Tolle Freunde seid
ihr... Wie konntet ihr sie nur in diesem Zustand alleine lassen?!“ Sie kann
ihre Reaktion im Grunde verstehen, doch in ihrer Brust spürt sie einen Stich
der Eifersucht. Hätte Lia auch sie geküsst, wenn sie anstatt Mike sie begleitet
hätte? Sie weiß, dass es kein ehrlicher Kuss gewesen wäre, aber zumindest
wüsste sie dann mit Sicherheit über ihre eigenen widerstreitenden Gefühle für
Lia Bescheid.
„In diesem Zustand war sie Lilith nah und sie war
alleine, vielleicht waren das die Voraussetzungen,
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