Schneerose (German Edition)
zusammenzuführen, was schon immer zusammen gehört hat.
Ihre Hände passen perfekt ineinander. Jede Berührung
bringt Lindsays Herz zum klopfen und jeder Blick, den Mike ihr zuwirft, zaubert
ein zufriedenes Lächeln auf ihre Lippen. Auf ihrem Weg zu der Hütte, nehmen sie
nur aus dem Augenwinkel die vielen Eimer, Töpfe, Wannen und andere Gefäße wahr,
die die Menschen eilig vor ihre Häuser gestellt haben, um den seltenen Regen
aufzufangen, der nun schon wieder vorbei ist. Regenschauer in der Wüste sind
immer nur von kurzer Dauer, doch dafür umso heftiger. Für die Menschen und
Tiere der Gegend sind sie jedoch wie ein Geschenk des Himmels. In weißen Roben
knien die Einheimischen vor den zerfallenen Gebäuden und verneigen sich vor
Gott, um ihm für das Wunder zu danken, dass er ihnen zuteil hat werden lassen.
Lindsay war nie gläubig, doch auch sie sendet ein stummes Dankesgebet an den
Herrn im Himmel, jedoch nicht für das Wasser.
Als sie die Hütte betreten, richten sich sofort alle
drei Augenpaare auf sie. Es herrscht helle Aufruhr. Wahrscheinlich der Regen,
denkt Lindsay bei sich, doch Trus scharfe Frage, erinnert sie an die Realität.
„Wo ist Lia?“, schießt es fast anklagend aus ihr
hervor.
Jetzt wo Lindsay endlich das erreicht hat, was sie
sich seit so vielen Monaten schon wünscht, spürt die tief im Inneren eine Spur
von schlechtem Gewissen. In ihrem Herzen weiß sie, dass es nicht Lias Absicht
war sie zu verletzen. Wahrscheinlich war es nicht mal ihre Absicht Mike
überhaupt zu küssen, doch sie mit ihm zu sehen, war zu schmerzhaft um ihre
letzten Worte abwägen zu können. Sie bereut das Gesagte und versteht nun auch
Trus Sorge. Seit mehreren Stunden sind sie bereits verschwunden, es gab einen
Regenschauer von einer Heftigkeit, die keiner von ihnen gewöhnt ist und nun
kehren sie ohne Lia zurück. Wo mag sie nur sein? Ist sie etwa die ganze Zeit am
Strand geblieben? Die Wellen müssen stürmisch gewesen sein. Wasser zieht Blitze
an und lädt sich elektrisch auf. Tru wartet nicht einmal eine Antwort der
Beiden ab, sondern hastet direkt aus der brüchigen Unterkunft.
Wie eine Prinzessin sitzt Mary im Inneren der Hütte
vor einem Spiegel und lässt sich von Nemesis ihr Haar bürsten und flechten. Sie
tragen beide eine traditionelle Felltracht der Einheimischen in den Farben Weiß
und Rot. Den ganzen Tag dringen von draußen bereits Geräusche von Trommeln und
Trompeten zu ihnen herein. Menschen lachen und tanzen. Heute feiern die
Dolganen ein Fest zu Ehren der Sonne, vorbei ist die lange Polarnacht. Für Mary
bedeutet es jedoch Abschiednehmen. Kain hat bereits angekündigt, dass sie am
Tag der „Rückkehr des Lichts“ Grönland verlassen werden, um in die Schlacht zu
ziehen. Nemesis wird ihnen folgen. Seit Kain sie verwandelt hat, weicht sie nur
noch selten von seiner Seite. Doch auch für Mary hat die Verwandlung von
Nemesis Vorteile gebracht, denn sie hat Marys Versuch ihr zu helfen, nicht
vergessen. Nur ein Wort von ihr und Kain betrachtet sie plötzlich nicht mehr
als eine von vielen. Sie ist ihr dankbar für ihre Hilfe gegen Victor und die
anderen Ungeheuer. Aber wann immer sie von ihnen spricht, lodert Zorn in ihren
Augen auf und sie ballt ihre rauen Hände zu Fäusten. Sie ist wahrhaftig die
Göttin der Rache und Mary hat vollstes Verständnis dafür, doch gleichzeitig
macht ihr Nemesis in solchen Momenten Angst. Sie scheint dann nicht sie selbst
zu sein.
Als die ersten Sonnenstrahlen des neuen Jahres und
gleichzeitig die letzten des Tages golden über den weißen Schnee scheinen,
tritt Mary aus der Hütte. Es war ihr letzter Tag, in dem neuen Zuhause und sie
fragt sich traurig wie oft sie noch ihren Wohnort wechseln werden muss, bis sie
endlich an einen Ort gelangt, den sie länger als ein paar Monate ihr Zuhause
nennen kann.
Vor der Hütte erwartet sie bereits Orlando. Er trägt
einen Umhang aus weißem Eisbeerfell, dazu ein weißes Hemd. Der Rest seiner
Kleidung ist so schwarz wie sein gewelltes Haar. Als sie ihn vor vielen
Jahrhunderten kennen lernte, verliebte sie sich sofort in ihn, doch das ist
lange her. Sie bereut diese Wendung nicht. Es ist besser einen großen Bruder
und Vater in einem zu haben, als einen Liebhaber, der einen ohnehin nur
verschmähen würde. Trotz allem ist sie nach wie vor nicht blind für seine
Schönheit. Das kühle Blau seiner Augen raubte nicht nur Liandra, sondern auch
schon vielen Mädchen vor ihr den Verstand. Doch sie ist die Erste
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