Schneerose (German Edition)
ergreifen. Vertraut auf mich, euren Vater und
Gott!“
Wie immer wenn Kain seine dunkle Tenorstimme erhebt,
fesselt er die Massen. Sie glauben ihm ohne zu zögern. Würde er ihnen sagen,
dass sie sich nicht in der kalten Antarktis, sondern in der Sahara befänden,
würden sie ihm auch das glauben. Jubelnd heben sie ihre Arme empor und feiern
ihren Gottvater. An Orlandos Blick erkennt Mary, dass ihn Nanuks Worte viel
mehr beeinflusst haben als die von Kain. Die ganze Zeit plagt ihn die Furcht
vor der bevorstehenden Schlacht, doch Nanuks Worte verstärken diese Angst nur
noch. Mary streckt ihre zarte Hand nach seiner aus. Ihre Finger verschließen
sich miteinander.
„Sorge dich nicht, wir werden füreinander da sein
und jede Schlacht gemeinsam überleben.“, flüstert sie ihm aufmunternd zu, doch
Orlando schüttelt nur den Kopf.
„Ich fürchte mich nicht vor dem Tod. Viel mehr habe
ich Angst davor, wem wir gegenüberstehen werden.“
„Wer immer es sein wird, wir werden ihn besiegen.“
„Genau das macht mir Angst. Je länger wir hier sind,
umso mehr wird mir bewusst, wen du mit deinem Blut wirklich erweckt hast.“
Verwirrt zieht Mary ihre Stirn kraus. „Lia...“
„...ist verbunden mit Lilith. Kain kämpft gegen
Lilith, also auch gegen Liandra. Ich könnte es nicht ertragen ihr beim Sterben
zuzusehen.“
Mary erkennt die Wahrheit in seinen Worten. „Sie ist
stark, ihr passiert schon nichts.“
„Ich könnte genauso wenig ertragen dich sterben zu
sehen. Du bist meine Familie.“
Mary lächelt ihm dankbar und gerührt entgegen. So
sehr er seine Liandra auch liebt, so weiß Mary auch, dass sich Orlandos Welt
nicht nur um seine große Liebe dreht. Auch sie hat einen Platz in seinem
Herzen.
Kain winkt Victor herbei, der sich zu ihnen
hinabbeugen muss, damit sie sich jeder ein Blutglas nehmen können. Orlando ist
als letzter an der Reihe, da lässt Victor das Tablett fallen und Blut ergießt
sich über Orlandos Brust. Das weiße Hemd verfärbt sich blutrot, während Victor
ihn voller Hass taxiert. Seine Augen scheinen eine Drohung auszusprechen.
„Du unwürdiger Taugenichts!“, schalt ihn Kain sofort
erbost, doch Orlando winkt nur großzügig ab.
„Kein Problem. Wir haben doch genug zu trinken!“
Seine Worte beruhigen den Vater und er schickt
Victor unbestraft davon. „Bring meinem Sohn ein neues Getränk! Aber schnell!“
Im nächsten Moment wendet er sich bereits wieder der
neuen Frau an seiner Seite zu.
„Und Nemesis, meine Göttin, wie gefällt dir das
Leben als Vampir?“ Seine Finger liegen an ihrer Brust und spielen mit ihrem
langen schwarzen Haar.
„Es ist erhebend. Ich könnte mir nichts Besseres
vorstellen.“, antwortet ihm Nemesis treu und wird mit einem zufriedenen Lachen
belohnt. Kain wendet sich nun an seine rechte Seite.
„Und nun sag du mir, kleine Mary, würdest du
tauschen wollen? Ein Leben als langweiliger, normaler Mensch gegen die
Herrschaft als Vampir?“
Mary denkt an Vivienne. Sie hat sich nie mehr
gewünscht als das. ‚Menschenleben sollten nicht Jahrhunderte überdauern. Je
länger wir leben, desto mehr verkommen wir.’
„Sofort!“, antwortet sie ihm ehrlich, sich bewusst
ihn damit zu erzürnen.
Seine Augen verengen sich zu Schlitzen. „Das
verstehe ich nicht. Was ist dir Schlimmes wiederfahren, dass du so denkst?“
Doch anstatt Mary, antwortet ihm Orlando. „Unser
Leben ist zu lang, es verliert seinen Glanz. Die Dinge, die es lebenswert
machen, können wir nicht halten.“
„Von welchen Dingen sprichst du? Was könnte es
geben, dass ein Vampir sich nicht erobern kann? Die Welt liegt uns zu Füßen.“
„Und die Liebe kommt und geht, wie es ihr gefällt.
Die Liebe interessiert sich nicht dafür, was wir sind.“
Kain bricht in schallendes Gelächter aus, doch Mary
ist stolz auf ihren großen Bruder. Sie teilt seine Ansicht, genau wie es
Vivienne einst tat. Auch sie würde ihn kaum wieder erkennen. Aber sie würde den
neuen Orlando mögen.
„Die Liebe ist ein Mythos und sonst nichts! Ich
liebe jede Frau, genau dann wenn ich mir mit ihr das Bett teile...“
„...und doch gibt es die Eine, die Ihr nicht
vergessen könnt, egal wie lang Euer Leben auch sein mag.“, fällt ihm Orlando,
zwar mit vornehmer Formulierung, aber dennoch unerhört ins Wort. Seine Worte
treffen ins Schwarze und das macht es umso schlimmer. Wütend springt Kain auf.
Er erträgt die Wahrheit nicht. Er ist ein Gott und muss sich von niemandem ins
Wort fallen lassen. Er wird
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