Schneerose (German Edition)
gleichzeitig die Hände auf die Ohren. Sie ertragen den Klageton,
der ganze Berge zum Einsturz bringen könnte, nicht. Erst die heftige Ohrfeige
von Lilith holt Lia zurück.
„Mein liebes Kind, er könnte deinen ganzen Körper
leer trinken und es würde ihm nicht helfen. Es ist das Silber, das ihn getötet
hat. Dein Blut kann ihn nicht retten.“
Aus Lias Augen dringen blutige Tränen, als sie sich
wie eine Furie auf ihre Mutter stürzt. Sie schlägt auf sie ein, zerkratzt ihr
das perfekte Gesicht. „Das ist deine Schuld! Du hast ihn mir weggenommen!“,
kreischt sie dabei aufgebracht, während Lilith gar nicht weiß wie ihr
geschieht. Sie weicht zurück und erträgt jede Verletzung, die sich ohnehin
innerhalb von Sekunden wieder schließt. Lia kann ihr keinen körperlichen
Schmerz zufügen, doch das muss sie auch gar nicht. Zu sehen wie die eigene
Tochter auf sie losgeht, ist schlimmer als alles andere. Sie wusste immer, dass
sie Liandra nie die Mutter war, die sich ein junges Mädchen vielleicht
gewünscht hätte. Trotzdem hatte sie angenommen, dass sie so etwas wie Liebe für
sie empfinden würde. Denn sie hat ihre Tochter immer geliebt, auf ihre eigene,
verworrene Art und Weise.
Ihr bleibt nichts anderes übrig als die aufgebrachte
Succubus von sich zu stoßen.
„Beruhige dich!“, herrscht sie Lia an. Diese sackt
in sich zusammen und beginnt erneut zu schluchzen. Die Dhampirin schlingt
sofort schützend die Arme um sie. Mit einem Blick voller Verachtung betrachtet
sie Lilith.
„Was sind Sie nur für eine Mutter?! Sehen Sie nicht,
dass Sie ihr Leben zur Hölle auf Erden gemacht haben?“, führt sie die
Schimpftirade ihrer Tochter fort. Lilith weicht zurück. Sie hat keine Ahnung
warum die Beiden sich so aufregen. Ihr Blick gleitet zu dem toten Vampir.
„Wegen dem da?! In ihrem Leben sind so viele Männer
gekommen und gegangen, da bildet er keine Besonderheit!“ Sie sagt es, ohne böse
Absicht, doch ahnt sie nicht, dass sie genau mit diesen Worten den wunden Punkt
trifft.
„Du hast mich zu einem Monster gemacht!“, brüllt Lia
erneut, während sich Tränen mit Blut vermischen. „Mein ganzes Leben lang wollte
ich nichts weiter als ein normales Mädchen zu sein, aber deinetwegen wurde ich
immer als Schlampe beschimpft. Ich hasse dich!“
Lilith sieht den Schmerz in den Augen ihrer ersten
Tochter und er bohrt sich wie ein Pfeil in ihr Herz. Sie konnte sich nie
vorstellen wie es für Lia oder ihre anderen Töchter sein könnte, auf die
Energie von Männern angewiesen zu sein. Sie selbst hat immer nur mit ihnen
gespielt, es machte ihr nie etwas aus. Doch ihre Tochter scheint sich durch
dieses Verhalten verletzt und beschmutzt zu fühlen.
Lilith geht auf Lia zu. Sie will sie trösten und ihr
beweisen, dass sie ihr am Herzen liegt. Doch mit jedem Schritt, den sie näher
kommt, weicht das Mädchen immer weiter vor ihr zurück. Ein Knurren dringt aus
ihrer Kehle. Auf der Höhe von Orlando, hält Lilith inne und betrachtet den
Vampir. Sie hat gesehen wie er für ihre Tochter gestorben ist. Sein letzter
Blick ihr gegenüber war so voller Liebe, dass es Lilith tief getroffen hat. Nie
hat Kain sie auf diese Weise betrachtet. Ihre schlanke Hand gleitet über sein
Gesicht und seine geschlossenen Augen.
„Lass deine Finger von ihm!“, faucht das rothaarige
Mädchen an seiner Seite. Auch ihr Blick spricht Bände. Sie sieht sich zu den
beiden Vampirinnen um, die ihr bis vor wenigen Minuten noch als
Leibwächterinnen dienten. Auch in ihren Augen ist nur Abscheu für sie übrig
geblieben. Lilith seufzt.
„Ich kann ihn retten!“, gibt sie zu.
Sofort stürzt Lia an ihre Seite. Hoffnung lodert in
ihren verweinten Augen auf. „Dann tu es! Warum zögerst du?“
„Er wird danach nicht mehr der Selbe sein!“
„Das ist mir gleich, solange er wieder bei mir ist!“
Mit dieser Reaktion hatte Lilith bereits gerechnet.
Sie schließt die Augen und beißt sich in ihr Handgelenk. Ihr Blut ist schwarz
als es auf Orlandos tote Lippen fließt. Erwartungsvoll kauern alle um seinen
Leichnam. Erst passiert nichts, doch dann reißt Mary plötzlich erschrocken ihre
Hand zurück, die auf Orlandos Brust lag.
„Sein Herz…“, stottert sie. „Es schlägt.“
Skeptisch legt nun auch Lia ihre Hand auf seine
linke Brust, dort wo sein Herz liegen müsste. Ein ruhiger Pulsschlag klopft
gegen ihre Hände. Seine bleiche Haut erblüht voller Leben. Kirschrot glühen
seine Wangen auf und Wärme schießt durch seinen gesamten
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