Schneerose (German Edition)
lässt sie sich neben ihn gleiten und streichelt ihm mit ihren
kleinen Händen über den zitternden Rücken.
Überrascht blickt Mike zu ihr auf. Es ist komisch,
dass ausgerechnet Lindsay ihn nun tröstet. Denn um ehrlich zu sein, konnte er
sie nie leiden. Sie zog vor zwei Jahren aus einer anderen Stadt zu ihnen. Wegen
ihrer auffälligen Kleidung galt sie an ihrer Schule direkt bei allen als Freak.
Mike selbst hätte sie nie angesprochen, doch Lia mochte sie vom ersten Moment
an, als sie sich frech der Klasse vorstellte. Von da an wurde aus ihrer
jahrelangen Partnerschaft plötzlich eine Dreierbeziehung, wobei Lia und Lindsay
Mike anfangs manchmal ausschlossen, um Mädchendinge zu machen, wie sie sagten.
Bis heute kann er sich nicht erklären, was genau sie damit meinen, aber es
macht ihn wütend und eifersüchtig auf Lindsay. Er hasst es, wenn sie Lia etwas
ins Ohr flüstert und sie dann gemeinsam albern kichern, ohne dass er weiß,
worum es geht. Er hasst es, wenn sie gemeinsam Kleider einkaufen gehen und er
nicht mitdarf. Aber am meisten hasst er es, wenn sie gemeinsam von Jungs
schwärmen, egal ob von ihrer Schule oder nur aus dem Fernsehen. Einmal hatte er
darauf bestanden, sie in „Twilight“ zu begleiten, doch bereits nach den ersten
zwanzig Minuten des Films hatte er verärgert das Kino verlassen, weil Lindsay
und Lia fortwährend darüber diskutiert hatten, ob nun Taylor Lautner oder
Robert Pattinson der schärfere Typ wäre.
Seitdem er Lindsay kennt, war er also immer
eifersüchtig auf sie, so überrascht es ihn nun umso mehr, dass ausgerechnet sie
ihm jetzt Trost spendet.
„Du hältst mich jetzt sicher für einen Loser, der
auch noch flennt wie eine Heulsuse.“, sagt er verlegen und wischt sich die
Tränen aus dem Gesicht.
Lindsay lächelt. „Quatsch! Ich mag Männer, die auch
mal Gefühle zeigen können. Die eiskalten Machos finde ich blöd.“
„Ich wünschte, Lia würde das auch so sehen.“
„Vielleicht solltest du dich nicht so auf sie
versteifen, es gibt auch andere nette Mädchen...“
„...die sich aber alle nicht für einen wie mich
interessieren würden.“, fällt ihr Mike deprimiert ins Wort.
„Wer dich nicht will, ist selbst schuld. Die wissen
ja gar nicht, was ihnen da entgeht.“
„Ach, das sagst du doch jetzt nur so, um mich
aufzuheitern. Ich weiß selbst, dass ich nicht aussehe wie Brad Pitt.“
„Wer will schon Brad Pitt?! Ganz ehrlich, du bist
etwas Besonderes und jedes Mädchen, das mit dir zusammen sein darf, sollte sich
glücklich schätzen.“
Verunsichert blickt ihr Mike entgegen. Meint sie das
ernst? Ausgerechnet Lindsay, die die Liste der „sexiest man alive“ in und
auswendig kennt? Ihre Augen blicken ihm offen und ehrlich entgegen, fordern ihn
förmlich auf, in ihr Herz zu blicken.
„Ich mag dich, Mike, und zwar genau so wie du bist.“
Schüchtern streicht er sich sein wirres Haar aus dem
Gesicht und nimmt seine vom Weinen beschlagene Brille von der Nase.
„Und was magst du so an mir?“
Es dauert einen Moment, bevor sie ihm antwortet,
doch dann lächelt sie das wärmste Lächeln, welches Mike je von jemandem
geschenkt bekommen hat.
„Ich mag es, dass du immer für deine Freunde da
bist, auch wenn sie mal Mist bauen. Ich mag, dass du die Menschen so nimmst wie
sie sind und dir keine Gedanken über ihr Äußeres machst. Ich mag es, wenn du
über Konzerte erzählst, weil deine Augen dann vor Freude strahlen. Ich mag,
wenn du mich im Unterricht mit deinem Bein anstößt, um mich daran zu erinnern,
dass ich mich beteiligen muss. Ich mag es, wie du mich mit deinen Witzen zum
Lachen bringst, wenn ich schlechte Laune hab. Ich mag einfach das Gefühl, dich
in meiner Nähe zu haben, weil du die besten Seiten in mir zum Vorschein bringst.“
Ihre Wangen glühen zartrosa, als sie endet und ihm
unsicher entgegen blickt. Nie zuvor hat Mike etwas Schöneres gehört und erst
recht nicht hat je jemand etwas so Liebes zu ihm gesagt. Er ist wirklich
gerührt und fühlt sich Lindsay plötzlich so viel näher als in den ganzen
letzten zwei Jahren. Zum ersten Mal hat er das Gefühl, sie so zu sehen, wie sie
wirklich ist. Es ist ihm ein Rätsel, warum er sie nie leiden konnte, wo sie
doch selbst so viel Gutes in ihm sieht. Normalerweise ist Lindsay oft zickig,
frech und vorlaut, doch wie sie jetzt neben ihm sitzt, ganz schüchtern und
ruhig, erinnert sie ihn ein bisschen an die unsichere Lia. Er braucht sich nur
ein winziges Stück vorzubeugen, da kommt ihm Lindsay
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