Schneerose (German Edition)
„Lia!“
Erschrocken fährt sie zusammen und starrt Tru
verwirrt entgegen.
„Gibst du mir bitte die Pipette?!“
‚ Was für ein Ding?’ , fragt sich Lia, doch da
deutet Tru bereits auf ein kleines Saugröhrchen aus Plastik.
„Hörst du eigentlich nie zu? Ich frage dich bereits zum
dritten Mal danach. Mrs. Petronelli hat auch schon ganz blöd geguckt.“
Schnell greift Lia nach dem gewünschten Objekt, doch als sie
es Tru reichen will und sich ihre Fingerspitzen berühren, lässt sie es vor
Schreck fallen. Wie ein elektrischer Schlag fährt durch ihren Körper. Trus Haut
ist angenehm kühl. Zwar nicht ganz so kalt wie Orlandos Finger, aber doch
ungewöhnlich. Schnell versucht Lia den Gedanken zu vertreiben und bückt sich
eilig, um die Pipette aufzuheben, doch Tru hatte denselben Gedanken, sodass
ihre Köpfe gegeneinander stoßen. Verlegen und wie benommen starrt Lia Tru an,
die verärgert die Augen zusammenkneift, doch auch wenn Lia das sieht, nimmt sie
etwas ganz anderes plötzlich war. Das Pulsieren. Es schlägt große Wellen, wie
eine Pauke unter kleinen Trommeln. Es kommt ihr so eigenartig bekannt vor. Im
Gegensatz zu Tru hört sie auch nicht das laute Gelächter der Klasse um sie
herum. Es ist für sie als würden nur noch sie beide existieren in einem Raum,
der von Trus enormer Lebensenergie erfüllt ist und ihn zum Beben bringt. Bumm,
Bumm, Bumm...
Als Lia erneut nach der Pipette greifen will, fährt Tru sie
wütend an, dass sie jetzt einfach still sitzen solle. Augenblicklich verstummen
die Trommeln in Lias Kopf. Nun hört auch sie das Johlen und Getuschel der
anderen, doch auch an Tru fällt ihr etwas auf, was sie zuvor noch nie gesehen
hat. Tru ist rot geworden. Die Situation ist ihr unangenehm. Lia hat Tru in
Verlegenheit gebracht. Ein schlechtes Gewissen macht sich breit. Das war nicht
ihre Absicht. Schuldbewusst wagt Lia es den Rest der Stunde nicht mehr Tru
anzusprechen oder auch nur anzuschauen. Erst als Tru ihr anbietet das
Versuchsprotokoll bei ihr abzuschreiben, fasst sie wieder etwas Mut und fragt,
während sie schreibt: „Woher wusstest du eigentlich, dass Orlando mir nicht
sein Alter verraten würde?“
„Es wundert mich, dass er dir überhaupt seinen Namen gesagt
hat.“
„Lenk bitte nicht ab.“
„Ich kenne eben Leute wie ihn.“
„Leute wie ihn? Was soll das heißen? Wart ihr mal zusammen,
ist es das?“
„Gott bewahre!“
Tru packt eilig ihre Schulsachen zusammen, als es zur Pause
klingelt, hastig jagt ihr Lia hinterher. Doch anders als erwartet, steuert Tru
nicht auf die Cafeteria zu, sondern hinaus in den Hof. Sie weiß genau, dass sie
verfolgt wird, macht aber keine Anstalten Lia daran zu hindern.
Gemeinsam laufen sie durch das gefrorene Gras der Schulwiese
und setzen sich auf die eisige Banke unter den einzigen Baum, der weit und
breit steht, während der Wind um ihre Ohren rauscht. Lia wickelt sich ihre
dicke Daunenjacke etwas fester um die dünne Schuluniform und bewundert Tru, die
nicht im Geringsten zu frieren scheint.
„Bist du immer hier in den Pausen?“
„Nicht immer. Mir ist es in der Cafeteria zu voll. Zu viele
Menschen mit zu vielen schlechten Gedanken.“
Ihre Oberarme streifen einander leicht unter dem Knistern
der Mäntel, trotzdem wird Lia ganz warm. Röte steigt ihr in die Wangen. Was ist
nur mit ihr los?
Während Tru die ganze Zeit
kommentarlos akzeptiert hat, dass Lia ihr auf einmal hinterher rennt, mustert
sie sie nun neugierig von der Seite.
„Warum bist du eigentlich hier?
Was ist mit deinen beiden Freunden?“
Traurig senkt Lia den Kopf und
beginnt über ihre frierenden Hände zu reiben, während ihr Atem kleine Wölkchen in
der Luft formt.
„Wir haben wohl Streit, dabei
weiß ich nicht mal genau was ich überhaupt falsch gemacht habe.“
Die plötzliche Sensibilität in
Trus Stimme begleitet von dem mitfühlenden Blick, überraschen Lia. „Willst du
mir erzählen was passiert ist?“
„Da gibt es nicht viel zu
erzählen. Wir waren zusammen feiern und als ich Orlando getroffen habe, hab ich
die beiden einfach stehen lassen. Lindsay redet seitdem gar nicht mehr mit mir
und Mike macht mir nur noch Vorwürfe, behauptet aber gleichzeitig, er wäre
nicht sauer auf mich.“
Für einen Moment schweigt Tru,
doch dann fängt sie wieder mit derselben, mittlerweile bekannten, Leier an.
„Das ist genau das, was er will.
Es ist für ihn besser wenn du isoliert bist und mit niemandem über ihn reden
kannst.“
„Redest du schon
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