Schneerose (German Edition)
wartet Lindsay jedoch gar
nicht erst ab.
„Ich weiß es geht mich nichts an, aber ich finde du
solltest dich von Tru besser fern halten. Sie ist nicht gut für dich.“
Verärgert starrt Lia ihr entgegen. Warum glaubt
eigentlich jeder zu wissen wer schlecht und wer gut für sie ist? Ist sie denn
nicht in der Lage, das selbst zu entscheiden?
„Du kennst sie doch gar nicht. Sie ist wirklich
nett.“
„Ja, aber vielleicht zu nett. Sie will vielleicht
mehr von dir als du ihr bereit bist zu geben. Deshalb wäre es für euch beide
besser, wenn ihr mehr Abstand von einander haltet.“
Jetzt versteht Lia gar nichts mehr. Wie kann denn
jemand zu nett sein? Als Lindsay ihre Verwirrung sieht, stöhnt sie genervt auf.
„Mensch Lia, Tru ist lesbisch! Die ganze Schule redet
bereits darüber, was du aber natürlich nicht mitbekommst, wenn du dich immer in
deinem Schneckenhaus verziehst!“
Damit hätte Lia nun wirklich nicht gerechnet. Sie
kannte bereits viele Gerüchte über Tru, aber dieses ist ihr neu. Wahrscheinlich
ausgelöst durch den Vorfall heute morgen in Chemie. Dabei ging das Ganze nicht
mal von Tru, sondern von Lia aus. Sie ist es schließlich auch, die bei jeder
Berührung von Tru zusammenzuckt und eine Gänsehaut bekommt. Ihr bleibt nur zu
hoffen übrig, dass Tru sich von diesem Gerücht nicht beeindrucken lässt und
deshalb dann auf Abstand zu ihr geht. Dann wäre sie wirklich ganz alleine, was
sie zu Lindsay zurück bringt.
„Was ist eigentlich mit dir los? Bist du wütend auf
mich?“
Schnell schüttelt Lindsay den Kopf und schenkt Lia
ein beiläufiges Lächeln.
„Nein, mach dir keine Sorgen. Das hat nichts mit dir
zu tun.“
„Aber was ist es dann? Seit Tagen behandelst du mich
wie Luft und dann sagst du, es hätte nichts mit mir zu tun?!“
Verständnislos blickt sie Lindsay entgegen und wünscht
sich so sehr, dass einfach alles wieder wie früher wäre, als sie noch beste
Freundinnen waren und sich alles erzählen konnten.
Lindsay seufzt betrübt auf. „Manchmal muss man sich
einfach weiterentwickeln und das geht nicht, wenn man sich immer weiter an
Hoffnungslosem festklammert.“
Hoffnungslosem? Meint sie damit sie? Reicht es ihr
nun endgültig mit Lia und ihrem schlechten Ruf? Ist sie nicht länger bereit ihr
treu zur Seite zu stehen? Noch bevor Lia den Kloß in ihrem Hals überhaupt
wahrnimmt, werden ihre Augen bereits feucht.
Erschrocken macht Lindsay große Augen. „Lia, was ist
denn los? Ich wollte dich damit doch nicht verletzten. Das Leben geht nun mal
weiter, auch deins.“, versucht sie ihre ehemalige beste Freundin zu beruhigen
und streckt ihren schmalen Arm behutsam nach Lia aus, um sie zu trösten, doch
das verkraftet sie jetzt nicht. Wie kann sie jemand trösten wollen, der
gleichzeitig nichts mehr mit ihr zu tun haben will?
Schnell weicht sie einen
Schritt zurück und wischt sich über die Augen. „Wir müssen zurück in den
Unterricht.“
Sie rennt los,
hat es eiliger in das Klassenzimmer zu kommen, als je zuvor. Weg von Lindsay
und ihrer Ablehnung. Da hilft es auch nichts, dass diese ihr nachruft: „Lia,
das war doch nicht so gemeint.“
Sie hat in ihren
Augen lesen können, was ihre einstige Freundin gedacht hat.
„Orlando!
Orlando, komm mal schnell!”, ruft es ihm aufgeregt entgegen, begleitet von
eiligem Fußgetrappel und ehe er sich versieht, kommt Mary auch schon in sein
Zimmer gestürzt mit funkelnden, neugierigen Augen.
„Ich glaube sie
ist da!“ , kreischt sie ganz begeistert und tanzt von einem auf den anderen
Fuß.
„Wer?“, will
Orlando nur unbeeindruckt wissen, während er sich noch verschlafen aus seinem
schwarzen Samtbett quält und die Kohlestifte zusammen mit dem Papier raschelnd
zu Boden fallen. Es ist eine angefangene Zeichnung von Lia. Er bekommt sie
einfach nicht mehr aus dem Kopf.
Mary ist
Frühaufsteherin und somit in seinen Augen ein echter Quälgeist.
„Liandra!“,
stößt sie hervor, so als wäre es das Selbstverständlichste der Welt und sichert
sich damit schlagartig seine ungeteilte Aufmerksamkeit.
„Wo?“, zu mehr
ist er nicht fähig.
„Vor den Toren!
Ich habe sie durchs Fenster gesehen. Sie steht dort bereits seit ich
aufgestanden bin und scheint auf dich zu warten. Sie sieht zum anbeißen aus!“,
sprudelt es aus Mary fröhlich hervor, die Lia bisher noch nie gesehen hat und
den Ernst der Lage auch nicht im Geringsten zu begreifen scheint.
Das darf doch
nicht wahr schein! Schnell schlüpft Orlando in die dunkle
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