Schneerose (German Edition)
Normalerweise müsste er sich nun vor Chasity
verneigen, doch zu groß ist sein Stolz und so verlässt er das Zimmer eiligen
Schrittes, gefolgt von den Wachen und anderen Clanmitgliedern. Claudia ist die
Letzte die geht und bereits die Tür hinter sich schließen will, als Chasity
plötzlich ruft: „Claudia, bleib bitte hier!”
Erstaunt
fährt nicht nur sie zu Chasity herum, sondern auch Mary betrachtet ihre
Ziehgroßtante mit ungläubigem Blick.
„Ich
habe keine Geheimnisse vor Claudia, was ich höre, soll auch sie zu hören
bekommen. Sie genießt mein vollstes Vertrauen!”
Claudia
lächelt. Noch nie zuvor hat Chasity etwas dergleichen zu ihr oder gar vor
jemand anderem gesagt und das obwohl sie sie gerade noch mit Victor erwischt
hat. Ist das ihre Art ‘Entschuldigung’ für ihr letztes Gespräch zu sagen oder
steckt da noch viel mehr dahinter? Hat sie sich die Eifersucht in Chasitys
Augen vielleicht nicht nur eingebildet? Während Claudias ganzer Körper vor
Freude bebt, unterbricht Mary ihre Gedankengänge trotzig.
„Ich
will aber nicht, dass sie dabei ist.” Sie schaut Chasity mit einem
Kleinmädchenblick an und klimpert mit ihren langen tiefschwarzen Wimpern.
„Ich
werde dir alles sagen, aber...” sie wirft Claudia einen gehässigen Blick zu.
„...ALLEIN.”
Chasity
hat jede noch so kleine Geste genau beobachtet und verengt nun selbst ihre
Augen, als sie Mary betrachtet.
„Du
bist nicht in der Position irgendwelche Forderungen zu stellen. Ich würde dir
raten endlich mit der Wahrheit rauszurücken, denn lange schaue ich mir deine
Spielchen nicht mehr mit an. Claudia, schließ bitte die Tür!”
Claudia
tut wie ihr geheißen, wobei sie stolz die Schultern straft. Vielleicht haben
ihre Worte ja doch endlich Wirkung gezeigt. Als sie sich zu Chasity und Mary
umdreht, sieht sie mit großer Zufriedenheit die Verzweiflung in Marys Augen. So
langsam bemerkt sie wohl wie ihre Chancen schwinden, ungestraft aus dem Ganzen
rauszukommen.
Doch
anstatt Mary mit der Härte, die es in Claudias Augen bräuchte, weiter zu
verängstigen, ergreift Chasity nun plötzlich Marys zarte Kinderhand.
„Mein
Schatz, ich liebe Orlando genauso sehr wie du, aber er hat etwas sehr böses
getan und dafür muss er bestraft werden.”
Eindringlich
und fast flehend ist ihre Stimme. Claudia würde am liebsten dazwischen gehen.
So darf sich eine Königin nicht erniedrigen. Mary nutzt ihre Gutmütigkeit doch
nur aus.
„Was
ist denn böse daran wenn man sich verliebt?”, fordert Mary nun uneinsichtig,
aber wenigstens ehrlich, zu erfahren.
„Mein
liebes Kind, Orlando hat sich nicht verliebt. Er hat die Frau eiskalt
vergewaltigt!”
Mary
reißt entsetzt die Augen auf und starrt Chasity ungläubig an, wobei diese nur
traurig nickt. Doch dann schüttelt Mary energisch den Kopf.
„Niemals!”
Chasity
ergreift fester ihre Hand, umschließt sie nun mit beiden Händen. So sanft ihre
Stimme auch ist, umso härter sind ihre Worte.
„Muss
ich dich wirklich daran erinnern wie es ist? Muss ich dich wirklich an den
Menschen erinnern, der sich einst dein Vater nannte? Muss ich dich wirklich
daran erinnern wie er dich von einem an den anderen Mann verkauft hat? Diesen
Schmerz kannst du unmöglich vergessen haben. Du warst so gut wie tot als
Orlando dich fand, bereit dein Leben in den Dreck zu werfen. Möchtest du
wirklich dabei zu sehen, wie er das einem anderen Mädchen antut? Niemand sollte
so leiden müssen!”
Verletzt
wendet Mary den Blick ab und starrt aus dem Fenster. Normalerweise redet weder
sie selbst, noch sonst irgendjemand über ihre Vergangenheit. Auch wenn es
Jahrhunderte zurückliegt, tut die Erinnerung daran, deshalb nicht weniger weh.
Seelische Wunden heilen nicht, man kann sie nur verdrängen.
Auch
für Claudia ist Marys Vergangenheit nicht neu und es gab auch eine Zeit in der
sie großes Mitleid mit dem armen Mädchen hatte, doch mittlerweile hat Mary sich
einfach zu viel geleistet, um dies alles mit ihrer zugegeben schrecklichen
Vergangenheit rechtfertigen zu können. Zudem haben sowohl ihr Vater als auch
die ganzen anderen Männer damals ihre gerechte Strafe erhalten. Claudia selbst
hat genug von ihnen mit Freude die Kehle aus dem Hals gerissen, damals als sie
und Orlando noch an einem Strang zogen. Zu jener Zeit als Orlando sich auch
noch für andere interessierte und nicht nur für sich selbst.
„Das
würde Orlando niemals tun!”, beharrt Mary jedoch weiterhin mit starrem Blick
aus dem
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