Schneerose (German Edition)
dass sie sich nun besser fühlt. Ihre Beine
fühlen sich nicht länger wie Gummi an und das Brummen in ihrem Kopf hat auch
nachgelassen. Es fällt ihr nun leichter klar zu denken.
Was soll sie jetzt nur tun?
Es fühlt sich falsch an, nach Hause zurückzukehren. Es ist nicht mehr ihr
Zuhause, weil sie nicht mehr dieselbe ist. Auch ihre Freunde können ihr nicht
helfen, denn niemand würde verstehen, was sie gerade getan hat. Sie stockt in
ihrer Überlegung. Niemand? In ihrem Kopf taucht das Bild eines ausgeweideten
Tieres auf einem Küchentisch auf. Tru... Traurigkeit erfasst sie als sie an
ihre Freundin denkt. Sie hat sie verurteilt und beschimpft, wahrscheinlich
geschieht es ihr gerade deshalb recht, dass sie jetzt selbst vor einem toten
Tier steht. Warum hat sie ihr nur nicht zugehört? Vielleicht wüsste sie dann jetzt
mehr. Kann sie noch zu ihr gehen? Würde sie ihr helfen? Doch noch größer als
den Wunsch Tru zu sehen, verspürt sie die verrückte Sehnsucht nach jemand ganz
anderem: Orlando. Er ist schuld an dem ganzen Schlamassel, indem sie jetzt
steckt und trotzdem sorgt sie sich, was mit ihm passiert sein könnte. Wurde er
bestraft, weil er mit ihr zusammen war? Wusste er, dass man sie töten würde?
Hat er versucht es zu verhindern? War es ihm egal? War SIE ihm egal?
Es ist viele Jahre her, dass
sie nicht alleine auf Vampirjagd war und sie ist sich nach wie vor nicht
sicher, ob es so nicht auch besser geblieben wäre. Sie hatte nicht viel Zeit,
um Mike und Lindsay auch nur im Geringsten auf das vorzubereiten, was ihnen
schon bald blühen könnte. Vampire sind keine blutrünstigen Zombies, die man
durch ein paar kleine Tricks einfach überlisten kann. Bluthungrig sind sie zwar
alle mal, aber dafür oft viele Jahrzehnte, wenn nicht schon Jahrhunderte alt.
Wenn man solange bereits auf der Erde verweilt, eignet man sich eine gewisse
Erfahrung an, die es Vampirjägern, wie Tru, immer schwerer macht sie zu töten,
denn rein Kräftetechnisch sind die Vampire ihnen Haushoch überlegen.
Zuerst hatte sich Tru
vollkommen geweigert Mike und Lindsay überhaupt mitzunehmen, doch die beiden
ließen einfach nicht locker, zum einen wohl aus ehrlicher Sorge um Lia, zum
anderen aber sicher auch aus Misstrauen Tru gegenüber. Sie war selbst
überrascht gewesen als sie plötzlich vor ihrem Haus gestanden hatten. So viel
Besuch in so kurzer Zeit war mehr als ungewöhnlich und dann auch noch zu
Weihnachten. Sonst hatte sie nicht mal in einem Jahr so viele Besucher und
jetzt waren es bereits drei innerhalb von nicht mal einer Woche.
Nachdem Lindsay ihr erzählt
hatte, was passiert war, schalteten bei ihr natürlich direkt alle Alarmglocken
auf rot und das schlechte Gewissen setzte auch augenblicklich ein. Der Abend
ihrer Christmasparty war die einzige Nacht, in der sie Lia nicht gefolgt war
und jetzt bereute sie das bitter. Zu verletzt war sie von Lias Worten und ihrer
herablassenden Selbstgerechtigkeit gewesen. Für wen hielt sie sich, dass sie
glaubte über Tru urteilen zu können, ohne ihr überhaupt die Chance zur
Erklärung zu geben? Klar, das Tierblut musste auf Lia erschreckend gewirkt
haben, aber nicht immer ist alles so wie es scheint und genau das wollte sie
ihr erklären. Jeder Metzger schlachtet und häutet Tiere. Das ist der normale
Lauf der Dinge. Außerdem ist es ja wohl alle mal besser, wenn auf ihrem Tisch
blutleere Kaninchen oder Hühner liegen, wie leer gesaugte Menschenleichen.
Sie weiß sehr wohl um die
Gerüchte, die in der Schule über sie kursieren. Auch das Neuste, dass sie
lesbisch sei, ist ihr nicht fremd. Doch um ehrlich zu sein, weiß sie selbst
nicht mal so genau, ob es stimmt oder nicht. Sie kann nicht von sich behaupten,
dass sie je in eine Frau verliebt gewesen wäre, aber genauso wenig war sie je
in einen Mann verliebt. Die Liebe hatte grundsätzlich nie einen Platz in ihrem
Leben. Einem Menschen, der so viele Geheimnisse mit sich herumschleppt wie sie,
fällt es schwer sich anderen zu öffnen. Ständig ist da die Angst davor nicht
verstanden zu verwenden. Nur bei Lia war es eine zeitlang anders. Das Mädchen
hatte selbst so viele Probleme und Ungereimtheiten, dass Tru geglaubt hatte,
sie würden zueinander passen, sie könnten einander verstehen und vertrauen. Sie
wollte Lia an dem besagten Abend die Wahrheit sagen, ihr Geheimnis endlich mit
jemandem teilen und dann ist alles eskaliert. Warum musste sie auch zu früh
kommen? Wenn sie sich an die abgemachte Zeit gehalten hätte, wären
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