Schneerose (German Edition)
nur
spazieren.“
„Vivienne
beherrscht die Wahrheitslesung. Seit Jahrhundert erkennt sie für Chasity
bereits die Wahrheit. Es gibt keinen Grund ihr Urteil anzuzweifeln.“, knurrt
Claudia herrisch.
„Genau,
das ist das Problem. Sie hat Chasity die Wahrheit gelesen. Chasity ist aber so
gut wie tot. Wir brauchen eine neue Königin oder noch besser einen König...“
„Ach
und wer sollte das sein? Etwa du? Das ich nicht lache. Es gibt genug Vampire
hier, die um einiges älter sind als du. Jedem stände der Thron mehr zu als
dir!“
„Aber
niemand ist besser als ich geeignet. Ihr Frauen seid doch allesamt verweichlicht.
Euch fehlt allen die Härte um regieren zu können. Dachtest du etwa du wärst da
eine Ausnahme? Ich hatte nie vor dich zur Königin zu machen, du warst immer nur
Mittel zum Zweck, aber selbst dafür warst du nutzlos. Du bist so naiv und
königstreu, dass du lieber dabei zusehen würdest, wie die Vampire untergehen
anstatt einzugreifen. Ich brauche dich nicht! Am besten legst du dich direkt
mit deiner Königin zu Bett, dann hast du auch endlich das was du wolltest. Wenn
sie zu Asche zerfallen ist, kann sie dich wenigstens nicht mehr von sich
stoßen. Du widerst mich nur noch an!“
Wie
Galle spuckt Victor die Worte aus. Sein angestauter Zorn und sein Hass liegen
deutlich in der Luft. Claudia ist im ersten Moment sprachlos, doch dann trifft
ihre Faust hart wie Eisen in Victors Gesicht. Blut schießt aus seiner Nase.
Seine Augen verengen sich zu Schlitzen.
„Das
hast du nicht umsonst gemacht!“
Ein
Ruck durchfährt Viviennes Körper. Ihr Hals schnürt sich zu, während ihre Haut
vor Kälte erstarrt. Tief in ihrem Inneren breitet sich die Dunkelheit wie Nebel
aus. Unkontrolliert beginnt ihr Körper zu zittern. Erschrocken reißt Mary die
Augen auf und schreit. Erst jetzt bemerken auch die anderen die Veränderung und
betrachten Vivienne skeptisch. Auf das sanfte Violett ihrer schönen Augen legt
sich ein schwarzer Nebel. Langsam breitet er sich aus, bis ihre Augen nur noch
schwarze Kohlen sind. Als sie den Mund öffnet, entfährt ihr ein
ohrenbetäubender Schrei. Viel tiefer und kraftvoller, als es Vivienne je
möglich wäre. Es ist ein Klageton, der alle zusammenzucken lässt. Motten
dringen aus ihrer Kehle und flattern in den Raum. Von überall her kommen die
Vampire angelaufen und drängen sich in das Gemach der todkranken Königin. Als
der Schrei verstummt, sitzt Vivienne kerzengrade dar mit starrem Blick. Die
Stimme, die aus ihren Lippen bricht, ist nicht die ihre: „Willkommen, meine
Kinder. Das Blut der Verräterin hat mich verwandelt. Ich bin der Vater der
Vampire. Ich bin der Vater der Finsternis. Ich bin Kain.“
Bei jedem Wort, scheint es um ein Grad kälter im
Raum zu werden. Wie elektrisiert lauschen alle den dunklen Worten, die aus
Viviennes Mund dringen. Kein anderes Geräusch regt sich.
„Das
Blut des Verräters hat SIE erweckt. Auf Rache sinnend wandelt SIE über die Erde
mit dem einzigen Ziel uns zu zerstören. Hört die Trommeln des Krieges schlagen,
sie klingen in jedem von uns.
Tatsächlich dringen leise, aber tiefe Trommelschläge
in den Raum. Wie von weit her, erzeugen sie das Gefühl eines Herzschlages, an
das sich kaum ein Vampir noch erinnert. Gleichzeitig lassen sie aber auch eine
Gänsehaut entstehen, die alle zum Frösteln bringt.
„Ich erwarte
euch, mein Blut wird euch den Weg weisen. Mein Blut, das durch eure Adern
fließt wie durch meine.“
Plötzlich dringen aus Viviennes mehr als eine
Stimme, es sind viele auf einmal. Helle, tiefe, leise, schwache, laute, starke.
In Intonation fährt sie fort:
„Im
Osten geht die Sonne auf, im Süden ist ihr Mittagslauf, im Westen wird sie
unter geh’n, im Norden ist sie nie zu seh’n.“
Urplötzlich lichtet sich der schwarze Nebel in
Viviennes Augen und ihr Körper sackt zusammen. Als sie wieder zu sich kommt,
erfasst sie eine tiefe Traurigkeit. Sie fühlt sich einsam und vollkommen
allein, obwohl der Raum voller Vampire ist, die sie alle neugierig beäugen. Sie
erinnert sich daran was passiert ist. Eine fremde Macht hat von ihrem Körper
Besitz ergriffen und sie wie eine Puppe benutzt. Die Finsternis hat eine tiefe
Spur in ihrem Inneren hinterlassen, die sie von Innen zerfrisst. Am liebsten
würde sie schreien und weinen gleichzeitig. Die Gabe, die sie immer für einen
Segen hielt, wandelt sich zu einem Fluch. Niemand wagt es zu sprechen. Mary
zittert vor Angst und trotzdem ist sie es, die als erstes ihre
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