Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern
Freundin war.«
»Dann hören wir jetzt auf. Wir müssen aber morgen noch einmal reden. Es geht nur noch um Details. Ist das okay?«
»Ja.«
»Einer unserer Sergeanten wird dich nach Hause fahren.«
Nachdem Kristina gegangen ist, kommt Resnais mit einer guten Nachricht. Roland Colberts Wagen ist repariert und steht auf dem Hof.
»Danke, Resnais. Sind die anderen schon weg?«
»Ja. Conrey und ich sind heute noch mal die Strecke abgefahren. Zusammen mit dem, was Conrey von den Zeugen im
Chaise Longue
erfahren hat, sind wir jetzt ziemlich sicher, dass Geneviève und Kristina zwischen zwei und viertel nach zwei oben an der Lichtung waren.«
»Gut gemacht, Resnais.«
»Danke. Komme ganz gut klar mit Conrey. Ich meine, der nimmt es echt ziemlich genau mit allem.«
»Das tut er. Hast du jetzt wieder Telefondienst?«
»Ja. Die anderen sind alle schon weg. Sogar Grenier. Ich glaube, bei der läuft was.«
»Mit einem Mann?«
»Ich denke schon. Oder meinst du, sie ist …«
»Nein, nein. Ist Ohayon aufgetaucht?«
»Nein, aber er hat angerufen. War in Saarbrücken, wegen der Verbindung zu Heimann. Ist nicht viel bei rausgekommen. Aber ich war ja auch heute nicht so viel hier wie sonst.«
»Wieso fährt er demonstrativ nach Saarbrücken, wenn im Moment alles eindeutig in eine ganz andere Richtung weist?«
»Bei Ohayon weiß man doch nie genau, was er denkt oder was er gerade tut.«
»Ja, das ist so seine Art.«
»Conrey findet ja, dass er einfach nur faul ist. Und auch nicht besonders … Ist ja auch egal.«
»Er findet, dass er dumm ist.«
»Glaube ja.«
»Und du?«
»Wenn ich ehrlich bin … Ich glaube nicht, dass Ohayon der Hellste ist.«
»Dann sage ich dir jetzt was, Resnais.«
»Ja?«
»Ihr liegt falsch.«
Schnee weiß. Bäume schwarz. Ein Wald. Es wird schon dunkel.
Kalt, aber das wusste er ja vorher.
Uns ist irgendwo ein Fehler passiert!
Sergeant Ohayon ist allein. Er hat diesmal unten am See geparkt. Nimmt den langen Weg. Hoch zur Lichtung. Da muss er hin. Er wusste es schon länger.
Aufwachen. Sergeant Ohayon denkt an den Kommissar. Mit Bewunderung. Weil Roland so gut funktioniert.
Sergeant Ohayon umrundet den See und geht anschließend durch den Wald hoch zur Lichtung, dorthin, wo Geneviève lag. Ohayon hätte nicht sagen können, warum er den umständlichen Weg genommen hat und nicht von der deutschen Seite her zur Lichtung gefahren ist. Aber etwas anderes weiß er dafür umso bestimmter: Höchste Zeit, dass ich das mache.
Wunder sind etwas Alltägliches. Natürlich: Der Schatz im Silbersee, Ali Babas Höhle mit ihren funkelnden Goldbergen, das große Los bei der staatlichen Ziehung … Diese Art Wunder widerfahren den Wenigsten. Auch das Edelste wird uns nur selten zuteil: plötzliche, beruhigende Einsicht in die inneren Zusammenhänge. Das Gefühl ewig währender Sättigung auf Grundlage allumfassender Erkenntnis. Die Aussöhnung des Ichs mit der Welt. Selten. Ganz selten geschieht dies. Schon gar nicht auf dem Weg zum Kiosk, vor dem Fernseher oder beim Abwischen einer beschlagenen Autoscheibe.
Und doch. Was die Autoscheibe angeht. Wunder überall. Und manchmal ohne eigenes Zutun.
Roland Colbert zum Beispiel wird zwei Kilometer hinter der Stadtgrenze von Fleurville beschenkt. Offene Felder links und rechts der Straße. Weiß mit einem gleichmäßigen Raster schwarzer Punkte. Die Erdschollen durchbrechen bereits die Schneedecke. Und da liegt kein Schnee mehr auf den Ästen Sie reihen sich auf, entlang der Feldwege, und zum erstenMal … das liegt teilweise am Kontrast, teilweise an seiner gesteigerten Aufmerksamkeit … heute jedenfalls fällt dem Kommissar auf, dass alle Bäume eine Ausrichtung haben. Liegt am Wind … Ein gutes Gefühl, wenn man die Welt versteht. An der Frontscheibe ein milchiges Dreieck. Wo der Strahl des Lüfters nicht gleich hinkommt! Wieder eine Erklärung, die absolut stimmig ist. Dann eine kleine Verrücktheit! Roland Colbert weiß natürlich, dass man an Windschutzscheiben nicht rumwischen soll. Das gibt Streifen. Außerdem: Noch zwei Minuten, und der Dunst ist weg. Die Lüftung wird schon warm.
Und trotzdem!
Roland Colbert greift in die Seitenablage, findet, was dort sein soll, holt das antistatische Tuch raus, das sich sofort optimal entfaltet, optimal in der Hand liegt, und wischt. Zwei Mal nur. Der milchige Fleck ist weg. Und keine Streifen! Freie Sicht. Und kein anderes Auto stört den Reisenden. Er lehnt sich zurück, die Schultern sinken, der
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