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Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Titel: Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Wittekindt
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zwei Schuppen lagern Motoren. Im dritten sind die Mädchen. Im vierten die Jungen.

    Autos im Winter.
    Roland Colbert wischt den Schnee von der riesigen Scheibe. Ohayon fährt ein Auto, das für den amerikanischen Markt entworfen wurde und zwei Tonnen wiegt. Hoffentlich kommen wir überhaupt hier weg, mit der Kiste.
    Ohayon tut nichts. Er hat sich freiwillig auf die Beifahrerseite gesetzt, möchte sich nicht mehr bewegen und zittert. Alles ist kalt und schrecklich. Er hält sich an seinem Traum fest und sieht einen Kriminalkommissar vor sich, der so klein und dick ist wie er selbst, und der immer ein paar hübsche Frauen in seiner Nähe hat. Sein Traumkommissar ist eine Figur aus einer amerikanischen Kriminalserie aus den siebziger Jahren. Dieser dicke Kommissar hatte auch einen Schnauzbart, trug auch immer kurze Blousons. So wie er. Sergeant Ohayon fühlt, wie es ihm aus der Nase läuft. Ihm ist bitter. Weil er für einen kurzen Moment weiß, dass er ein hässlicher kleiner Mann ist. Weil ihm klar ist, dass daran auch sein Auto nichts ändert.
    Dann steigt Roland Colbert ein, startet den Wagen. »Wir fahren jetzt nach Fleurville, und du kriegst erst mal einen Cognac.«
    Ohayon laufen die Tränen runter. Er atmet tief durch. Spürt, wie ein ungeheures Glücksgefühl in ihm aufsteigt. Alles ist wieder gut, es lag nur an der Kälte.

    Der Pfarrer von Fleurville ist vierundsechzig Jahre alt. Tagsüber trägt er einen schwarzen Anzug. Dazu meist einen schwarzen Pullunder. Der Anzug hat nur 256 Euro gekostet. Na und? Nicht jeder Anzug endet beim Preis! Es gibtAnzüge, die werden durch ihren Träger aufgewertet. In diesem Fall ist es so. Das liegt an der Statur des Pfarrers, seiner Größe. Es liegt an seiner Körperhaltung. Es liegt auch an seinem Amt, der Art, wie er es bekleidet. Nein, niemand in Fleurville käme auf die Idee zu sagen: »Der Anzug des Pfarrers ist billig.« Nein, es hat schon seine Richtigkeit.
    Und wie ist er sonst? Der Pfarrer von Fleurville? Treffen sich bei ihm junge Menschen, die gegen das Militär sind? Übt bei ihm eine Band? Spricht er mit seiner Gemeinde über neue philosophische oder irgendwie kritische Strömungen, die die Gesellschaft verändern?
    Nein.
    Aber deshalb ist er nicht automatisch ein schlechter Pfarrer. Er ist nur sehr streng. Ein Pfarrer von der altmodischen Sorte eben. Vielleicht ganz passend für Fleurville.
    Im Moment sitzt er in seiner Küche und isst Spiegeleier. Auf Schwarzbrot. Beides ungewöhnlich für einen französischen Pfarrer? Nicht hier im Grenzgebiet. Die meisten sind zweisprachig, und dieser französische Pfarrer isst sogar Schwarzbrot.
    Ja, und der Pfarrer ist verärgert. Sie hat nämlich wieder angerufen. Sie, das ist Silvia.
    Verspürt offenbar wieder den Drang zu beichten!
    Der Pfarrer ahnt auch, worin ihre Schuld besteht. Er hat die Zeitung gelesen. Sie liegt vor ihm auf dem Tisch.
Mord!
    Und dann tropft Eigelb auf den Ärmel seines guten Anzugs. Ärgerlich.

    Großartig! Der Cognac ist genau richtig. Außerdem tut es Ohayon gut, im Warmen zu sein nach seinen schlechten Gedanken vorhin.
    Es ist gleich neun Uhr, und in diesem Lokal wird seit dreihundertzwanzig Jahren Alkohol getrunken. Es ist ein kleiner, gemütlicher Raum. Viel Holz. Alles sehr primitiv.
Baptistes Petit Bistro
wird daher von Stammgästen liebevoll
Baptistes Petit Pissoir
genannt. Der Raum füllt sich, und dieser Umstandgefällt Ohayon. Er und der Kommissar sitzen gemütlich hinter der Holzwand des Windfangs an der Heizung.
    »Na? Wie steht’s, Ohayon?«
    »Gut steht’s. War wohl nur die Kälte. Ich krieg dann immer so schlechte Gedanken. Cognac war ’ne gute Idee.«
    »Dann lass mal hören, Ohayon. Was denkst du?«
    »Die wichtigste Frage ist erst mal: Wie ist die Kleine da hingekommen?«
    »Opfer. Lass das mit der Kleinen.«
    »So wie sie angezogen ist, kam sie wohl aus der Disco. Also hat sie da jemand aufgegabelt und ist dann mit ihr da hin. Richtig?«
    »Jemand hat sie also mitgenommen.«
    »Wahrscheinlich der Junge, den wir im Wald gefunden haben. Der hat sie mitgenommen, und wir wissen ja, warum die Jungs die Mädchen mit zum Feensee nehmen. So, und dann wollte sie aber nicht, was er wollte, und ist weggelaufen und er hinterher, und dann hat er sie oben bei der Hexe erwischt und … und als er zurück wollte, hat er sich verlaufen. Verlaufen und dann schlapp gemacht, bei minus sechs Grad.«
    »Und wo ist das Auto? Geneviève und der Junge sind tot. Trotzdem haben wir kein Auto

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