Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern
mein Haus angezündet hat.«
»Ich glaube nicht, dass ein aufgebrachter Bürger so was tut. Die würden sie anpöbeln, vielleicht eine Scheibe einschmeißen. Aber ein Mordanschlag auf offener Straße? Mit einem Backstein? Von oben? Da müsste ja dann jemand auf der Lauer gelegen haben. Woher sollte der- oder diejenige denn wissen, dass Sie da vorbeikommen? … Dass Ihr Haus angezündet wurde, das ist viel ernster. Wir vermuten, dass es in Fleurville jemanden gibt, der schon seit Längerem weiß, was man Ihnen damals in Deutschland vorgeworfen hat. Jemanden, der von sich ablenken will. Also: Überlegen Sie bitte noch mal ganz genau, ob Sie hier mal jemandem begegnet sind, der Sie aus Deutschland kennt.«
»Wer damals von den Vorwürfen gegen mich gewusst hat? Alle, die Zeitung lesen! Und jetzt wissen es auch wieder alle. Warum hat die Zeitung mein Bild veröffentlicht? Ich bin in Deutschland von allen Vorwürfen freigesprochen worden!«
Roland Colbert nickt. Er nimmt sich vor, Grenier zu beauftragen, sich die Brandstelle noch mal genau anzusehen. Er darf das nicht vergessen. Dann blickt er kurz zu Ohayon rüber. Er hat ihn diesmal mit ins Verhörzimmer gebeten. Ohayon hat sich nicht eingemischt. Er soll nurseine sechs Ohren und Augen aufsperren. Bis jetzt ist ihm nichts aufgefallen bei Heimann. Der redet immer verzweifelter.
»Die haben aus einer Mücke einen Elefanten gemacht! Und mein Pech war, dass kurz zuvor dieses andere Mädchen entführt und ermordet worden war. Isabel hieß die. Die war zwar viel älter, und die Umstände waren anders, aber das interessierte niemanden. Außerdem hatte ich kein Alibi für die Zeit, in der Isabel verschleppt wurde. Irgendwann hat meine Schülerin zugegeben, dass sie sich die Geschichte ausgedacht hat. Aber der Makel blieb. Ich konnte nicht mehr unterrichten und wurde vorzeitig pensioniert.«
Ohayon zuckt mit den Schultern, was bedeutet, dass er keine Ahnung hat, ob Walter Heimann ihnen etwas verschweigt oder nicht. Dann wird Resnais rausgeschickt. Der will nicht, das sieht man.
»Es ist wichtig, Resnais! Es ist wichtig, dass jemand am Telefon sitzt!«
»Ja klar! Es ist wichtig, dass ich den ganzen Tag da rumhocke.«
Resnais geht also, Roland Colbert wechselt das Thema.
»Ich wollte Sie noch etwas anderes fragen, Herr Heimann. Wann waren Sie eigentlich das letzte Mal bei Madame Darlan?«
Handschuhe finden! Unter dem Schnee! Auf einer Fläche so groß wie ein ganzer Wald! Und außerdem … Ich suche an der falschen Stelle, hier ist nichts. Scheiße!
Marie Grenier steht auf, blickt den Hang hinab.
Da unten, am Waldrand, muss der Weg sein, den Conrey auf der Karte … Nein, das Gelände ist zu groß, das schaff ich nicht! Marie Grenier entscheidet sich also gegen Conreys Weg am Waldrand, geht hoch, Richtung Lichtung. Da! Ein kleiner Huppel! Vielleicht, wenn der Handschuh da liegt … Nix.
Es wird dunkel.
Nix, seh nix mehr … morgen… Aber mal logisch … wenn er getötet hat und hier reinläuft … dann läuft er erst mal … der will erst mal nur weg! Wär ja unlogisch, dass er gleich nach dem Mord anruft … »Ey, ich hab gerade ein Mädchen erschlagen, aber jetzt ist mir kalt, holt mich ab!« … Erst mal rennt er … erst muss ihm kalt werden … so kalt, dass er merkt … dass er Todesangst hat … nur dann … also muss der Handschuh doch weiter unten liegen … hat jetzt keinen Sinn. Morgen, wenn’s hell ist … Marie Grenier hat die Lichtung erreicht. Im Hexenhaus brennt schon Licht. Blaue Stunde. Wirklich alles bläulich …
Hundert Meter rechts von ihr flattern die Absperrbänder im Wind. Die Stelle, wo Geneviève lag. Marie Grenier weiß, dass es Zeit ist, zum Parkplatz zurückzulaufen. Aber sie läuft nicht zurück. Sie tut nichts, außer über die Lichtung zu blicken.
Und dann sieht sie die Gestalt. Direkt neben einem Baum. Erst denkt sie, der Stamm hätte eine Ausbuchtung. Dann bewegt sich die Ausbuchtung. Marie Grenier läuft los. Als sie zwanzig Meter gelaufen ist, geht im Haus das Licht aus. Marie Grenier sucht beim Laufen nach ihrem Handy … im Rucksack! Die Gestalt hat sie bemerkt, verschwindet im Wald.
»Stehen bleiben, Polizei!«
Sie nimmt im Laufen den Rucksack ab, reißt die Lasche auf, sucht ihr Handy … Scheiße! … Es dauert eine Weile, das Handy zu finden … Sie lässt den Rucksack fallen, wählt, während sie weiterläuft. Nichts passiert. Scheiße, ausgeschaltet … Sie läuft weiter, wartet, bis das Handy bereit ist. Wählt.
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