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Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Titel: Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Wittekindt
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natürlich, dass das Quatsch ist. Gott ist kein Fisch, sondern ein Gedanke. Und sie weiß natürlich auch, dass sie zu viel beichtet. »Deine Geständnisse, die fließen aus dir raus wie Wasser!« Das hatte der Pfarrer schon ein paar Mal gesagt. Zu ihr. Wie oft sie sich schon ihr Hirn zermartert hat, woran das liegen könnte? Tja. Das könnte sie gar nicht mal sagen. Oft. Verdammt oft! Und sie weiß trotzdem nicht, woran es liegt. Am ehesten hat das mit ihren Wutanfällen zu tun. Woher die kommen, bei ihr? Nein, das weiß sie nicht. Wirklich nicht. Sie hat sich eben manchmal nicht im Griff. Zwei Mal wurde sie fast angezeigt. Einmal diese Geschichte am Spielplatz mit der Frau mit dem Hund … Das war schlimm, wie sie sich da aufgeführt hatte. Richtig schlimm. Aber wo kommt so was her? Unbegründeter Zorn. Plötzliche Raserei. Sie ist doch eigentlich so friedlich. Ja, wirklich! Fast schon zu friedlich, wie manche meinen. Ach, und da fällt ihr ein, dass sie lange nicht mehr auf dem Friedhof war. Bei ihrem Vater. Der hat im Kirchenchor gesungen. Hatte eine schöne Stimme. Hatte einen ganzen Teich voller Goldfische. Und ist ganz plötzlich gestorben. Bei den Radieschen. Die Mutter hat ihn umfallen sehen. Bei den Radieschen. Zum Glück! Weil er war schon alt, und er hätte es nicht ausgehalten zu leiden, vielleicht wegen Diabetes oder Demenz oder Krebs oder was noch gekommen wäre, weil Männer halten weniger aus als Frauen, das weiß jeder. Nein, es war schon besser so. Aber ausgerechnet bei den Radieschen? Wo die doch angeblich sogesund sind! Nein, es war an allem immer auch was, das komisch ist. Eine Krähe soll im Baum gesessen haben. Ja … Ihr Vater mit der schönen Stimme. Jedenfalls ist die Emanzipation völlig spurlos an ihr vorübergegangen. Aber ihr Lebensplan, der ist auch ohne Emanzipation aufgegangen, weil sie ziemlich gut aussah, eigentlich noch immer ganz passabel. Sie hatte ja jung geheiratet … eine Liebesheirat, das hat sie immer wieder gesagt … jung geheiratet und schnell ein Kind bekommen. Bei der Geburt gab es dann aber Komplikationen, und ihre Freundin hatte ihr noch gesagt, dass sie nicht ins neue Krankenhaus gehen soll, sondern ins alte, zu den Schwestern, und danach konnte sie keine Kinder mehr bekommen. Aber deshalb beichtet sie nicht. Nein, nein! Sie hat auch nicht das Gefühl, dass sie keine Kinder mehr bekommen kann, dass das so was wie … wie eine göttliche Strafe wäre. Nein. Nein, wirklich nicht. Und sie ist auch eigentlich gar nicht besonders gläubig. Das ist kein Witz, das sagt sie selbst! Nur so zum Schein. Aber sie geht gerne zum Pfarrer. Seit sie ein Kind ist, tut sie das. Und sie war schon immer etwas rastlos. »Flüchtig.« So hatte der Pfarrer mal gesagt. Da war sie dreizehn. Flüchtig! Das ist wohl ihr Charakter, da kann der Pfarrer nichts dafür. Und so entstanden dann die schönsten Jahre. Das war die Zeit, als ihre Tochter noch klein war, vielleicht fünf oder sechs Jahre alt. Das war die Zeit, als sie und ihr Mann anfingen, an ihre Gesundheit zu denken und Sport zu machen. Das Haus, das Schwimmbad im Keller. Er verdiente nämlich ganz gut. Als Vertreter. Obwohl Schwimmbäder eigentlich schon nicht mehr in Mode waren. Die Energiepreise waren zu hoch. Aber das alles hat nichts mit Schuld und ihrem Hang zum Pfarrer zu tun. Nein, sie hat einfach einen Knall. Das sagt sie selber. Einen Knall, was Schuldeingeständnisse angeht, und einen Knall, was das Schwimmen angeht. Sie hat ihren Mann deswegen verloren, und sie ist dabei, ihre Tochter zu verlieren. Sie weiß das alles und kann nichts dagegen tun. Im Gegenteil! Sie genießt diesen ständigen Kampf gegen die Zerstörung. So wie sie auch ihre wunde, juckende Haut genießt. Es ist nicht in Ordnung.Es ist nicht gesund, weil es immer schlimmer wird. Trotzdem hat sie die Hoffnung noch nicht ganz verloren. Denn diesmal! Diesmal ist es keine Einbildung. Diesmal ist etwas passiert.
    Mord.
    Sie atmet tief durch. Sie steht auf und stellt den Teller in die Spülmaschine. Danach cremt sie sich die Hände und die Arme ein. Bis hoch zu den Schultern. Danach die Beine. Sie muss sich oft eincremen. Ihre Hautärztin hat ihr verboten zu schwimmen. Sie muss etwas ändern. Sie weiß nur nicht, wie das gehen soll. Und vor allem ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Bevor sie irgendetwas ändern kann, muss sie erst mit dem Pfarrer sprechen. Denn diesmal. Diesmal ist wirklich etwas passiert.

    Sie sollen sich beeilen, hat Roland gesagt, und

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