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Schneesterben

Schneesterben

Titel: Schneesterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Willis Grinsen standzuhalten. »Es verstößt nur gegen das Gesetz.« Wilhelm, fand er, hätte das nicht besser sagen können.
    »Welches Gesetz? Das, was die Idioten in Berlin beschließen? Was wissen die schon.«
    Vom Leben, von der Natur, von der Arbeit eines Landwirts. Bremer waren die Bekenntnisse eines denkenden Bauern im Laufe der Jahre fast ans Herz gewachsen.
    »Und außerdem sind das alles Berufsversager«, griff er dem Schlußwort voraus. Willi guckte für einen Moment erstaunt. Dann nickte er und sagte: »Endlich hast du’s kapiert.«
    Irgendwann war es Zeit geworden für das erste Bier des Abends im »Rauschenden Brünnlein«, wo man sich üblicherweise einfand, wenn man genug zum Besten der Gemeinschaft getan hatte. Bremer erhob sich, um die Sitzung zu schließen.
    »Nicht, daß es direkt auf die Tagesordnung gehört«, sagte Willi. Also war er der Meinung, daß es ein um so wichtigeres Thema war. Bremer setzte sich wieder.
    »Aber was kann man eigentlich gegen diesen Spinner machen, diesen komischen Vogel, diesen – Marx ?« Mit wieviel Abscheu man eine einzelne Silbe aussprechen konnte.
    Wieder redeten alle durcheinander. »Der hetzt alle auf. Das kann man sich doch nicht gefallen lassen.« Man war sich einig. In dieser Runde würde der Bürgermeisterkandidat keinen Stich machen.
    »Was ein Scheiß, daß Wilhelm nicht da ist. Der alte Fuchs hätte bestimmt gewußt…« Willi hielt inne und schielte zu Bremer hinüber. »Das geht nicht gegen dich.«
    Bremer nickte. Natürlich nicht.
    »Wilhelm kann dir die Gemeindeordnung rauf und runter interpretieren.« Wie es gerade gebraucht wird, dachte Bremer. »Es muß doch irgendein Mittel gegen solche Klugscheißer geben!«
    »Schon, aber – wir leben in einer freien Welt.« Harry war plötzlich ganz Demokrat. »Und wenn der Kerl mit dem Thema seinen ganzen Wahlkampf bestreiten will – und alle applaudieren…«
    Bremer konnte nicht folgen. Welches Thema?
    »Ebersgrund. Der Tunnel, du weißt schon«, flüsterte Gottfried ihm zu.
    »Wer alle?« Willi wurde laut. »Die in den Neubauvierteln, die finden das prima.«
    »Und der Pfarrer. Und die Lehrerin. Die schicken in Waldburg tatsächlich die Kinder herum, um ihre Nachbarn auszufragen. Was sie gemacht haben damals. Und ob sie was gewußt hätten.« Der alte Knöß klang tief gekränkt.
    »Unterrichtseinheit ›Spurensuche Deutsche Vergangenheit‹ nennt sich das.« Das erste Mal heute nachmittag mischte sich Karlheinz Becker ein, der sich in der Hundedebatte aus gutem Grund bedeckt gehalten hatte. »Das hatten wir schon mal. Und ihr erinnert euch vielleicht noch daran, was damals dabei herausgekommen ist!«
    »Mord und Totschlag«, murmelte Gottfried.
    Bremer kannte solche Unterrichtskonzepte. Die Kinder sollten sich frühzeitig mit dem beschäftigen, was dieses Land und seine Nachbarn so tief geprägt hat. Er fand das gar nicht schlecht. Erst heute begann man, die alten ländlichen Synagogen zu restaurieren, die jahrzehntelang als Schuppen, Schweineställe und Garagen hatten dienen müssen. Man mußte doch wissen, wo man lebt.
    Bremer lebte im Haus des letzten Bürgermeisters von Klein-Roda. Der war Schneider gewesen; was Schlimmeres konnte man ihm nicht nachsagen.
    »In Oberhunden haben sie die Sache mit dem amerikanischen Piloten wieder ausgegraben. Du kannst dir denken, was da los ist im Dorf.« Gottfried hatte die Stirn in tiefe Falten gelegt und klang bedrückt.
    »Nachbar gegen Nachbar. Das kommt dabei heraus.«
    »Was regt ihr euch eigentlich so auf?« Harry lehnte sich zurück und setzte ein überlegenes Lächeln auf. »Der wird doch eh nicht gewählt! Was kann schon passieren?«
    »Moment!« Willi hob die Hand. » Wir wählen den nicht. Aber die in den Neubaugebieten. ›Im Hohl‹ und ›Im Wiesengrund‹ und demnächst auch am Geiskopf.«
    »Alle auf ehemaligem Bauernland gebaut. Und wer hat denen den Acker verkauft? Na?« Harry blickte über den Brillenrand in die Runde.
    Diesmal bekam Bremer keine Antwort, als er danach fragte, was Moritz Marx mit dem Tunnel von Ebersgrund vorhatte.
    »Lies seine Website!« rief Harry im Rausgehen.
    »Frag Gottfried!« Willi lachte dröhnend und hieb dem Nachbarn die Pranke zwischen die Schulterblätter.
    Am nächsten Morgen rief Wilhelm schon um acht Uhr früh an. Man konnte ihn kaum verstehen, der Husten schien noch schlimmer geworden zu sein. Nach einer Weile begriff Bremer, daß Wilhelm glaubte, ihm letzte Instruktionen geben zu müssen, bevor man eine

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