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Schneesterben

Schneesterben

Titel: Schneesterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Witz über schwangere Frauen gemacht hatte, wie ihn nur alleinstehende Damen im besten Alter zu erzählen wagen. Dann knipste einer das Licht aus. Als sie erwachte, glaubte sie für den Bruchteil einer Sekunde ans Paradies, weil die schönste aller Protokollführerinnen wie ein Rauschgoldengel über ihr schwebte. Anita Fischer stützte ihr den Kopf und fühlte ihr professionell den Puls, während H2O mit belämmertem Gesichtsausdruck dastand und ihre Beine hochhielt. Anita war Krankenschwester gewesen, bevor sie in den Justizdienst wechselte.
    »Haben wir zuviel gearbeitet? Oder haben wir Kummer?«
    »Red’ normal mit mir, Fischerin.« Karen versuchte sich aufzurichten.
    Anita Fischer drückte sie sanft zurück. »Du hast einen Blutdruck wie ein Reptil und einen Puls, den man kaum noch spürt. Gesund ist das nicht.«
    »Ich fühle mich aber noch ganz lebendig.«
    »Geh nach Hause. Leg dich ins Bett. Trink ein Glas Wein. Mach die Glotze an. Ruh dich aus.« Karen wollte erst den Kopf schütteln. Aber dann nickte sie lieber. Ganz vorsichtig.
    Anita Fischer half ihr beim Aufstehen. Eva Daun ließ ein Taxi bestellen. Und nach einer Viertelstunde sah Karen das erste Mal seit Wochen ihre Wohnung bei Tageslicht.
    In der Vase im Großen Zimmer vertrocknete der Mimosenstrauß, den Gunter ihr mitgebracht hatte, damals, als die Zukunft noch offen zu sein schien. Es kam ihr vor, als hätte sie alles nur geträumt – die Woche zwischen Weihnachten und Neujahr. Die Liebesgrüße per SMS. Die immer viel zu kurzen Treffen.
    Gunter war pünktlich nach ihrem ersten und wahrscheinlich letzten Streit zu einem Kongreß nach Washington geflogen. Ihr Gespräch nach der Verhandlung gegen Krista Regler war kurz und frustrierend gewesen.
    »Schön, dich hier zu sehen«, hatte sie zu ihm gesagt.
    »Noch schöner wäre gewesen, ich hätte davon gewußt, daß du als Sachverständiger der Gegenseite auftrittst.«
    »Karen, ich…«
    »Du wußtest, daß ich in diesem Fall die Anklage vertrete.«
    »Natürlich, Karen. Komm, laß uns…«
    Er hatte keine Chance. Sie ließ ihm keine. »Und ich dachte, wir stehen uns nahe genug, um Vertrauen zueinander zu haben.«
    Carstens hatte sich durchs Haar gestrichen und sie lange angeschaut. Ohne zu lächeln. Dann sagte er: »Wir haben damals beschlossen, das Private nicht mit dem Beruflichen zu vermischen. Daran habe ich mich gehalten.« Als sie nicht gleich antwortete, legte er eine kühle Hand an ihre Wange. »Komm. Wir reden darüber, wenn ich zurück bin.«
    Erzähl mir mehr davon, hatte sie noch gedacht. Sie kannte berühmte letzte Worte.
    Auf dem Küchentisch stand die große geblümte Tasse mit einem Rest Milchkaffee von heute früh. In der Ecke unter dem Fenster stapelten sich Zeitungen neben leeren Flaschen. Im Kühlschrank roch es nach saurer Milch und nach irgend etwas noch Schlimmerem. Ansonsten herrschte hier gähnende Leere. Und im Weinregal lagen nur noch vier Flaschen, ausgerechnet von ihrem besten Wein, einem roten Burgunder, den Marion ihr zum Geburtstag geschenkt hatte mit der Auflage, ihn nur im Beisein eines gutaussehenden und intelligenten Mannes zu öffnen. Zwei hatten Gunter und sie Silvester getrunken.
    Sie beschloß, Anita Fischers Ratschlag dennoch anzunehmen, öffnete eine Flasche und ließ sie auf dem Küchentisch lüften. Dann nahm sie den Einkaufskorb vom Haken und lief wieder hinunter. Der Kiosk an der Ecke hatte alles, was man zur Fernseh und Rotweintherapie in Fällen kummerbedingter Kreislaufschwäche brauchte. Der nette Kurde, der ihr immer die Tür aufriß und sie »Madame« nannte und der es gewohnt war, daß sie erst abends gegen 22 Uhr vorbeischaute, weil sie noch Wasser brauchte oder Milch für den Morgenkaffee, sah anerkennend zu, wie sie gewaltige Notfallrationen auf den Kassentisch häufte. Karen richtete sich auf eine lange Klausur ein.
    Nach zwei Soaps und einer Nachrichtensendung öffnete sie die zweite Rotweinflasche zu Käse, Trauben und Pumpernickel. Bei »Vier Hochzeiten und ein Todesfall« mußte sie weinen – bei der Hochzeit, natürlich, nicht bei der Beerdigung. Und als sie einschlief, träumte sie so intensiv, daß sie um drei Uhr nachts aufwachte mit tränennassem Gesicht. Der Fernseher lief noch, man sah schweinchenfarbene, stark geschminkte Blondinen in Tangas, die einander ableckten. Sie drückte auf die Fernbedienung, als ob es ein Revolver wäre. Dann setzte sie sich auf. Sie lebte nur halb. Und das wußte sie seit langem.
    Manchmal fragte sie

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