Schneesterben
sich, wie Eva Daun das bewältigte: das Alleinsein. Sie sah nicht aus, als ob ihr etwas fehlte. Aber mir, dachte Karen, mir fehlt was. Ein Mann. Eine Beziehung. Liebe. Nenn’s, wie du willst.
Die Affäre mit Gunter war vorbei – es sah jedenfalls ganz danach aus. Es hatte wenige Tage vor Weihnachten begonnen, auf dem Wochenmarkt in Frankfurts Schillerstraße, direkt vor der Börse. Es war der Tag, an dem ein junger Börsenjournalist tot aufgefunden worden war, in der Herrentoilette, mit einer Plastiktüte über dem Kopf. Sie hatte Gunter begleitet, als er den Toten untersuchte. Und danach hatten sie, zur Beruhigung, Glühwein getrunken am Weinstand vor der Börse und nach dem zweiten Glas beschlossen, die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr miteinander zu verbringen. Es war innig, vertraut, entspannt und schön gewesen. Sie hatten zusammen gekocht, waren ins Kino gegangen, hatten Musik gehört. Ihre Wohnung war wahrscheinlich noch nie so intensiv bewohnt gewesen. Und nach den Feiertagen? Sie hatte es erst nicht wahrnehmen wollen. Er war immer sparsamer geworden mit seiner Zuwendung. Sparsamer? Er hatte gegeizt! Und jetzt war es wohl vorbei.
»Mach’s gut. Du bist ein netter Kerl«, murmelte sie.
Besser jetzt als später, wenn es nicht mehr zu übersehen ist. Sie löschte das Licht und schlief wieder ein.
Sie wachte wie immer um Viertel nach sieben auf und drehte sich auf die andere Seite. Erst gegen Mittag erlaubte sie sich, aufzustehen. Die Welt sah weniger schlimm aus, als sie befürchtet hatte. Mit frischen Brötchen und der Tageszeitung, die Erhan ihr mit tiefer Verbeugung überreichte, legte sie sich wieder ins Bett. Sie ignorierte das Telefon bis kurz nach zwei. Als es dreimal hintereinander so lange schrillte, bis der Anrufbeantworter ansprang, ging sie dran, mit dem unvernünftigen Wunsch, es möge Gunter sein, und der weit vernünftigeren Hoffnung, er möge es nicht sein.
»Edith Manning«, sagte die Stimme. »Ich weiß, Sie sind krank. Aber ich würde gerne mit Ihnen reden.«
»Wozu?« Die richtige Frage wäre wohl »Worüber« gewesen.
»Ich habe nur getan, was ich meiner Mandantin schuldig war«, antwortete Edith Manning etwas steif. Sie hatte Karens Frage völlig richtig als Vorwurf gedeutet. »Ich hatte keine Ahnung, daß Thomas Regler…«
Ja, was? Was hatte Regler eigentlich getan? Er hatte das mutmaßliche Tatwerkzeug im Falle Michael Hansen beschrieben und detaillierte Angaben zum Tathergang gemacht – das alles konnte nur der Täter wissen. Oder auch: der Täter und die Täterin. Aber da Regler alle Schuld auf sich nahm, hatte man Krista Regler aus der Untersuchungshaft entlassen müssen.
»Sie wollten zeigen, daß Krista Regler keine Ahnung hatte, was sie da alles zugab«, sagte Karen Stark langsam. »Und plötzlich hatten wir einen neuen Täter.«
»Genauso geständig wie seine Frau. Und genauso unwillig, darüber nachzudenken, ob es irgend etwas gibt, das man zu seinen Gunsten auslegen könnte.«
»Er läßt sich nicht verteidigen?« Karen konnte eine gewisse Heiterkeit nicht unterdrücken.
»Nein.« Gequält klang das.
Für Karen war der Fall klar: Regler deckte seine Frau. Seiner Darstellung nach hatte er Hansen umgefahren, hatte dem Hilflosen mit einem kaputten Backstein den Rest gegeben, dann seine Frau ins Auto gepackt, in den Wald gefahren und dem Tod durch Erfrieren überlassen, eine Stunde Fußmarsch von der Stelle entfernt, an der er sein Fluchtauto geparkt hatte. Zwei Fakten sprachen ihrer Meinung nach gegen diese Version: Krista Reglers Schilderung von ihrem Zusammenprall mit Michael Hansen klang viel zu stimmig, um erfunden zu sein. Und: warum hatte Regler seiner Frau nicht den Autoschlüssel weggenommen, wenn er sie erfrieren lassen wollte?
»Mann tötet Nebenbuhler – ich habe langsam das Gefühl, diese Platte ist genauso abgenudelt wie die Idee, daß Frauen einen Mann gleich über den Haufen fahren, bloß weil er nicht mit ihnen einen neuen Hausstand gründen will.« Die Manning klang bissig.
Karen horchte in sich hinein. Der Fall Regler löste ein seltsames Gefühl in ihr aus. So etwas wie – Sehnsucht. Die Frau schweigt, um ihren Mann nicht zu verraten. Der Mann schweigt, um seine Frau nicht zu belasten. Ist das Liebe? Oder Wahn?
»Irgend etwas stimmt da nicht«, sagte Edith Manning leise. »Vielleicht liegt das Grundmotiv für dieses Drama ganz woanders?«
Die beiden halten einander die Treue, dachte Karen.
Michael Hansen hatte keine Chance. Sie
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