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Schneesterben

Schneesterben

Titel: Schneesterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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man ja hier versammelt, um sich der Solidarität im Falle einer solchen Katastrophe zu versichern.
    »Wir hatten einen Fall – erst vorgestern.« Wieder sah Harry nicht dahin, wo Bremer saß. »Gottlob ist alles glimpflich ausgegangen.«
    Wieder nickten alle. Harry straffte sich, reckte das faltige Kinn und senkte die Stimme.
    »Und gestern – gestern gab es einen weiteren Fall von Vandalismus. Ein Fenster wurde eingeworfen.«
    Die Nachbarn murmelten aufeinander ein. Bremer war erstaunt. Krista hatte den Steinwurf durch ihr Wohnzimmerfenster bestimmt nicht an die große Glocke gehängt – und er auch nicht.
    »Ich sage nicht zuviel, wenn ich diese Ereignisse mit einer einzigen Person in Verbindung bringe.« Das Gemurmel wurde lauter. Bremer sah Willi den Kopf schütteln. Wenn ich gemeint bin von dieser miesen kleinen Ratte, dachte er hilflos, dann sei bitte auf meiner Seite, Willi.
    »Seit Krista Regler bei uns aufgetaucht ist, deren Mann wegen Mord im Gefängnis saß, ist hier die Welt nicht mehr in Ordnung.«
    Harry blickte theatralisch in die Runde und setzte sich wieder. Das Gemurmel schwoll an. Und Bremer fühlte sich ganz elend. Er hätte sich ja denken können, daß sie sich an ihn nicht rantrauen würden. Aber an Krista. Und es stimmte auch noch: Sie war der ideale Sündenbock.
    Hast du das nicht immer gerühmt, das Selbstverteidigungsvermögen eines Dorfes, das ausstößt, was der Gemeinschaft schadet? spottete eine innere Stimme. Jetzt kannst du mal dabei zusehen, wie das funktioniert!
    »Sie hat ihr Haus redlich erworben. Das kann ihr niemand streitig machen«, sagte Wilhelm. Er war wie immer derjenige, der die Fahne von Recht und Gesetz hochhielt.
    »Sicher, sie ist ein Fremdkörper«, sagte Willi. Bremer sah ihn entgeistert an. »Aber laß sie erst mal ein paar Jahre hier leben, dann gibt sich das schon.«
    Bremer merkte, wie aus seiner Verunsicherung Empörung wurde. Hielten es die lieben Nachbarn wirklich für selbstverständlich, daß die Opfer schuld daran sind, wenn sich jemand durch ihre Anwesenheit zu Gewalt provoziert fühlt?
    » Ich wohne hier schon mehr als ein paar Jahre, aber mir hat jemand den Schuppen abzufackeln versucht, und ich habe den Stein abbekommen, den irgendein Idiot Krista Regler ins Wohnzimmer geschmissen hat!« Seine Stimme rutschte ihm plötzlich weg. Er atmete tief durch. »Erklär’ mir mal deine Logik, Harry.«
    Harry sah ihn noch immer nicht an. »Ich könnte mir vorstellen…«, sagte er. Die gewichtige Pause machte die Versammlung unruhig und Bremer noch wütender.
    »Ich könnte mir vorstellen, daß es nicht jeder hier normal findet« – Harry sprach das Wort ›normal‹ mit spürbarem Ekel aus –, »wenn die frischgebackene Witwe, deren Unschuld am Tod ihres Geliebten keineswegs ausgemachte Sache ist, schon gleich wieder einen Neuen hat.«
    Marianne wurde starr und steif neben ihm. Sie glaubte dem Drecksack doch hoffentlich nicht? Er sah sie an. Sie sah nicht zurück. Bremer stand auf.
    »Erstens würde euch das nichts angehen, wenn es so wäre. Zweitens nehme ich mit Erstaunen zur Kenntnis, daß es unser lieber Nachbar zu billigen scheint, wenn jemand zu krimineller Gewalt greift, bloß weil er etwas nicht für normal hält.«
    »Ganz richtig«, sagte Gottfried leise und stand ebenfalls auf.
    »Und drittens habe ich Krista Regler nicht mehr gegeben als das, was man einem Menschen gibt, der tief trauert:Trost. Das stünde euch auch verdammt gut an.«
    Bremer atmete noch einmal tief ein und wieder aus. Harrys Attacke schmerzte mehr, als er jemals für möglich gehalten hatte. »Wenn ihr auf mich verzichten wollt – bitte. Ich kann auch auf euch verzichten.«
    Sein Abgang geriet ihm nicht so kraftvoll, wie er erhofft hatte, weil er mit Marie zusammenstieß, die aufstand, als er gerade hinter ihr vorbeischreiten wollte.
    Was für ein tapferes Häuflein der Aufrechten, dachte er, als er mit Gottfried und Marie den Feldweg durch die Flußaue nach Hause nahm. Und ein Bier hat es auch nicht gegeben.
    Stunden später, als er die zweite Flasche Riesling geöffnet und Schuberts Unvollendete in den CD-Spieler gelegt hatte, klopfte es zaghaft an die Haustür. Bremer steuerte die Musik lauter und schloß die Augen. Ihr könnt mich alle mal, dachte er.
    Als er aufwachte, saß er noch immer auf dem Sofa, das Glas Wein in der Hand. Birdie hockte auf seinem Schoß und gähnte ihn an, Nemax lag daneben und schaute zu, und das Kaminfeuer war heruntergebrannt. Bremer nahm das Glas

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