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Schneestille

Schneestille

Titel: Schneestille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Joyce
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in Richtung der verschwundenen Weinkarte.
    »Die schmeißen uns bestimmt raus«, meinte er und stieß mit ihr an.
    »Auf uns«, sagte sie. »Wir haben’s überlebt.«
    »Auf uns.«
    »Es ist surreal.«
    »Aber es ist kein Traum.«
    »Wenn ich daran denke, wo wir beide schon alles gemeinsam gegessen haben. Mittagessen bei uns zu Hause. Abendessen auswärts. Teure Restaurants. Billige Bistros. Picknicks. Aber dieses Essen werde ich sicher nicht so schnell vergessen. Man könnte fast meinen, wir beide seien die letzten Menschen auf der Welt.«
    »Und draußen schneit es immer noch. Wenn man mit dem Richtigen hier zusammen festsitzt, kann das sicher furchtbar romantisch sein.«
    Die Kerze flackerte leicht. Sie sah, wie das Licht sich in seinen blutunterlaufenen Augen spiegelte, und musste daran denken, dass sie nicht ohne Grund in diesen Urlaub gefahren waren. Sie hatten etwas zu klären. Etwas, worüber sie dringend reden mussten. Doch sie wusste, dass jetzt nicht der richtige Moment dafür war. Also sprach sie es lieber nicht an.
    »Wie ist dein Steak?«
    »Perfekt. Weißt du, ich glaube, insgeheim hatte ich immer schon Angst vor Lawinen. Das ist jetzt mein wievielter – mein zwanzigster Skiurlaub? Und schon als blutiger Anfänger wusste ich, dass sie da draußen sind. Wie etwas aus einem bösen Traum, das dir heimtückisch auflauert, um dich urplötzlich von hinten anzufallen und dir alles zu entreißen.«
    »Fürchtest du dich immer noch davor? Nach allem, was heute passiert ist?«
    »Sagen wir mal so. Ich finde, wir sollten in ein Zimmer auf der anderen Seite des Flurs ziehen. Ich glaube zwar nicht, dass der Schnee heute Nacht runterkommt. Aber wenn doch, dann hätten wir auf der anderen Seite des Hotels bessere Chancen.«
    »Stimmt. Das ist übrigens ein sehr guter Wein.«
    »Wirklich? Ich finde, der schmeckt eigentlich nach nichts.«
    »Quatsch. Komm, wir machen noch eine Flasche auf.«
    »Sicher? Nicht dass du nachher betrunken bist.«
    »Das könnte dir doch nur recht sein. Gib’s zu, du willst, dass ich mich betrinke.«
    Sie bezogen Quartier in ihrem neuen Zimmer, wo sie sich bei offenen Vorhängen auf das Bett legten für den Fall, dass sich nachts draußen irgendwas regte oder zu hören war oder eine Patrouille vorbeikam. Ängstlich und angespannt lauschte Zoe auf jedes Knacken des Gebäudes, sollte es womöglich den großen Schneerutsch ankündigen. Jake war eigenartig stoisch und schicksalsergeben. Er glaubte nicht, dass es so weit kommen würde: Er wusste zwar nicht, warum er sich da so sicher war, aber trotz der Evakuierung hatte er nicht das Gefühl, dass sie in akuter Gefahr schwebten.
    Die zwei Flaschen Rotwein hatten sie schläfrig gemacht, und doch wollte der ersehnte Schlaf sich nicht einstellen. Stundenlang lagen sie wach nebeneinander und küssten sich. Küssten sich einfach nur, ohne zu reden oder reden zu wollen, ohne den Mund von den Lippen des anderen losreißen zu wollen, was natürlich auch eine Art zu reden war. Und dann tat Jake etwas, das er noch nie gemacht hatte: Er hob sie hoch und trug sie aus dem Bett und presste sie gegen die Wand, und dann vögelten sie im Stehen.
    Dann schließlich fielen sie wieder ins Bett und schliefen endlich ein.
     
    »Wach auf!«
    Blinzend schaute Jake sie an. Es war Morgen. Zoe zog sich die Wollmütze vom Kopf und machte die Skijacke auf. Sie war unterwegs gewesen und hatte eine Apotheke gesucht, um Tropfen für ihre blutunterlaufenen Augen zu besorgen.
    »Du warst schon draußen?«
    »Ich hab dir was mitgebracht. Leg den Kopf in den Nacken und mach die Augen auf. Mensch, das sieht echt schlimm aus. Deine Augen sehen aus wie Pinkellöcher im Schnee.« Damit gab sie drei Tropfen in jedes Auge und schraubte dann die Kappe wieder auf die Flasche.
    »Irgendwem begegnet?«
    »Nein.«
    »Wie spät ist es?«
    »Noch nicht so spät.«
    Jake schlug die Bettdecke zurück. »Du hättest mich nicht schlafen lassen sollen.«
    »Ich dachte, du kannst den Schlaf brauchen. Ich glaube, du bist traumatisiert.«
    »Bin ich nicht.«
    »Ich glaube schon. Du benimmst dich so komisch.«
    »Wie denn?«
    Zoe zog die Augenbrauen hoch.
    Schnell sprang er aus dem Bett, um sich anzuziehen. »Wir müssen das Auto wieder auf die Straße bekommen und zusehen, dass wir hier wegkommen.«
    »Okay. Ich hab dir aus der Küche ein kleines Frühstück mitgebracht.«
    Auf einem Tablett standen Kaffee, Saft sowie unter einer silbernen Abdeckhaube Rührei auf Toast. »Weißt du was? Daran

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