Schneestille
unerfreulichen Scheidung von Jakes Vater nach Schottland gezogen war, während Jake ins Internat kam. Seine Mutter – ihm sowohl emotional als auch geografisch nicht gerade nahestehend – hatte zum Glück eine hohe Meinung von Zoe, weil die so »musikalisch« war. Jake dachte sich, seine Mutter könne zumindest einen Verantwortlichen kontaktieren und Bescheid geben, dass sie beide bei der Evakuierungsaktion zurückgelassen wurden.
»Die flippt aus«, meinte Jake, während er die Nummer wählte. »Du kennst sie doch.«
»Trotzdem, ruf sie an.«
Als er auch hier keine Antwort bekam, legte Jake das Telefon beiseite. »Heute ist ihr Whist-Abend in der Kirchengemeinde.«
»Na prima. Ich hoffe, sie hat neun Tricks oder was auch immer, während wir hier draußen am Berghang bei lebendigem Leib gefressen werden.«
»Ich rufe Simon an.«
Simon war ein alter Collegefreund von Jake. Er arbeitete beim Wohnungsamt und war einer ihrer Trauzeugen gewesen, und selbst als Simon versucht hatte, Zoe ins Bett zu bekommen, hatte ihre Freundschaft das wunderlicherweise überlebt. Jake rief Simon auf dem Handy an, aber die Verbindung war zu schwach. Also versuchte er es auf dem Festnetz, aber auch da wurde die Verbindung schließlich unterbrochen.
»Wie spät ist es? Vermutlich ist er gleich nach der Arbeit auf ein Bier ins Jolly Miller gegangen. Wen könnten wir denn sonst noch anrufen?«
Die Liste war ziemlich kurz. Mit ihren Nachbarn zu Hause pflegten sie zwar ein gutes Verhältnis, aber die waren schon älter und ziemlich gebrechlich, weshalb sie dort lieber nicht anrufen wollten. Zoe versuchte es bei zwei guten Freundinnen, aber keine von ihnen ging ans Telefon.
»Kein Mensch geht ans Telefon. Die können doch nicht alle auf ein Bier ins Jolly Miller gegangen sein! Komm, wir machen den Fernseher an und schauen mal, ob irgendwo Lokalnachrichten laufen.«
Worauf Zoe die Türen des Mahagoni-Fernsehschränkchens aufmachte und das Gerät einschaltete. Rasch zappte sie sich durch die Sender, bekam aber überall bloß elektronisches Schneegestöber und statisches Rauschen. Jake stand auf und nahm ihr die Fernbedienung aus der Hand, als würde es mehr bringen, wenn er statt ihr auf die Knöpfe drückte. Tat es aber nicht. Das Fernsehen war auch für Radioempfang eingestellt, aber auch dort war auf sämtlichen Kanälen nichts. Bloß statisches Knistern. Weißes Rauschen.
»Hör zu«, meinte Zoe schließlich. »Ich kann nicht mal mehr geradeaus denken. Heute Nacht sitzen wir hier fest. Wir müssen dringend was essen.«
»Dann müssen wir uns selbst was kochen.«
»Halb so wild. Komm, wir schauen mal, was es in der Küche Feines gibt.«
Also gingen sie nach unten zum Restaurant und huschten in die Küche, wo sie zuvor bereits gewesen waren. Alles war noch genauso wie bei ihrem ersten Besuch. Magere Rindfleischstreifen lagen auf der Arbeitsfläche und warteten darauf, in die Pfanne zu wandern, ebenso wie eine bunte Palette von Gemüseschnitzen. Aber sie ließen die Sachen, die den ganzen Tag offen herumgelegen hatten, lieber links liegen. Im Kühlschrank fanden sie frische Filetsteaks.
Zoe goss Olivenöl in eine riesige Pfanne, während Jake die Gasflamme einschaltete. Dann entdeckte er eine blütenweiße Kochmütze, die er sich neckisch aufsetzte.
Ihm machte das einen Heidenspaß. »Alles bereit. Gas. Licht. Ich. Wir werden zwar womöglich unter einer Lawine sterben, aber ich bin in der Küche, und wir brutzeln uns ein Steak.«
Er servierte es englisch mit Zwiebeln und Pilzen. Währenddessen tischte Zoe grüne Bohnen mit Butter auf. Außerdem hatte sie den Weinkeller geplündert und eine Flasche Rotwein entkorkt.
»Was ist das denn, du Geizkragen? Geh und hol uns gefälligst eine anständige Flasche Wein!«
Zoe schüttelte den Kopf. »Zieh diesen albernen Hut aus. Du siehst aus wie ein Vollidiot. Das werden die uns alles in Rechnung stellen, weißt du.«
»Mir doch egal. Wenn das hier die letzte Flasche Wein meines Lebens ist, dann soll sie gefälligst richtig gut sein.«
Er stand auf. Als er zurückkam, hatte sie auf dem Tisch eine Kerze angezündet. Er trug immer noch die Kochmütze und hatte eine Flasche Châteauneuf du Pape dabei. Sie wollte in der Weinkarte nachschlagen, was seine Auswahl sie kosten würde, aber er nahm ihr die Karte energisch aus der Hand und schleuderte sie durch das leere Restaurant, dann sagte er zu ihr, sie solle ihnen ein Glas einschenken. Dafür riss sie ihm die Kochmütze vom Kopf und warf sie
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