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Schneestille

Schneestille

Titel: Schneestille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Joyce
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also löste er sie. Dann entdeckte er einen Hebel, der das riesige Rad über seinem Kopf in Gang setzte. Als das Rad anfing, sich zu drehen, setzten sich auch die Sessel des Lifts ruckelnd in Bewegung.
    Zoe kam aus der Kontrollkabine und ging zurück zu ihren Skiern. Jake wollte abwarten, bis die Sessel eine komplette Runde gedreht hatten und wieder zurückkamen, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war. Sie war da nicht so geduldig. Also schlug er vor, sie sollten verschiedene Sitze nehmen und nicht zusammen in einem Liftsessel fahren.
    »Wozu soll das denn gut sein?«
    »Damit«, erklärte er geduldig, »wenn der Lift stehen bleibt, wir einen ordentlichen Abstand zwischen uns haben, und die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass einer von uns es nach unten schafft und dem anderen helfen kann. Wohingegen wenn wir beide im Lift festsitzen und hilflos im Wind schaukeln, wir rein gar nichts ausrichten können.«
    »Die Logik dahinter verstehe ich nicht. Ich meine, sollte der Lift stecken bleiben und wir wären beide gerade ausgestiegen, dann wären wir doch in einer weitaus besseren Lage, als wenn einer von uns in Sicherheit ist und der andere da oben festsitzt.«
    »Das ist ja absurd.«
    »Auch nicht absurder als deine Hirngespinste. Es ist einfach Glückssache. Reine Glückssache oder reiner Zufall, ob nun allein oder zu zweit. Wir müssen uns so oder so auf unser Glück verlassen. Und ich würde mich dem Zufall lieber gemeinsam stellen. – Nach allem, was uns schon passiert ist, sitze ich lieber mit dir in einem Sessel«, meinte Zoe. »Herr im Himmel, ich fasse es nicht, dass wir uns deswegen streiten!«
    Jake seufzte und schlurfte zu seinen Skiern. Gemeinsam warteten sie auf den nächsten Sechsersitz, der um die Ecke kam, und als er ihnen von hinten gegen die Kniekehlen fuhr, ließen sie sich auf die Sitze plumpsen. Jake griff nach dem Sicherheitsbügel und zog ihn herunter.
    Schweigend fuhren sie den Hang hinauf.
    Es war ein langer Lift, und insgeheim fragten sie sich beide, was sie wohl tun würden, sollte er tatsächlich stecken bleiben. Den größten Teil des Weges schwebten sie fünfzehn Meter über der Erde. Die Stahlseile trommelten rhythmisch gegen ihre Aufhängung, und in gleichmäßigen Abständen heulte der Wind mit gespenstischem Pfeifen und Stöhnen um die Pylonen. Auf den zurückkehrenden Sitzen auf der anderen Seite, die ohne Wartung dem Wetter auf dem Berg ausgesetzt gewesen waren, türmte sich der Schnee, und Eiszapfen hingen von ihnen herunter. Zoe kamen sie vor wie düstere, dunkle Streitwagen, die zurückkehrten, nachdem sie ihre Fracht an einem dem Tod geweihten Ort abgeliefert hatten.
    Während sie hinauffuhren, wurde die Schneelast auf einem der Tannenzweige unter ihnen manchmal zu schwer, und der Ast entledigte sich Schnee sprühend seiner Bürde. Davon abgesehen regte sich unter ihnen nichts.
    »Alles so still«, sagte Zoe, vielleicht nur, um dem unheilvollen Heulen des Windes um die Pfeiler etwas entgegenzusetzen.
    Der Sitz ruckelte, als sie sich dem vorletzten Pylonen näherten, und neigte sich zur Fahrt nach unten. Jake schob den Sicherheitsbügel nach oben. Sie rutschten auf ihren Sitzen herum und brachten ihre Skier in die richtige Position, um an der Station auszusteigen. Als es so weit war, ging ihnen der Schnee fast bis zu den Knien und bremste sie abrupt. Normalerweise wurde die Stelle, an der man ausstieg, von den vielen anderen Skifahrern festgestampft und von den Liftwärtern geräumt.
    »Das wird tief auf der Piste«, prophezeite Jake.
    »Wir machen einfach ganz langsam. Willst du den Lift abschalten?«
    »Ich lasse ihn lieber laufen.«
    »Warum?«
    »Warum? Warum? Warum? Musst du mir eigentlich immer widersprechen?« Aber zumindest musste er jetzt darüber lachen. »Warum bekomme ich mein ganzes Leben lang immer nur warum, warum, warum zu hören?«
    »Kommt mir bloß wie eine … krasse Energieverschwendung vor. Wir sollten ihn abschalten.«
    »Ich möchte, dass er weiterläuft. Ich möchte, dass die Leute wissen, dass wir hier sind, okay? Hör endlich auf, bei allem das letzte Wort haben zu wollen, ja?«
    »Du bist doch derjenige, der immer das letzte Wort haben muss.«
    »Hör sich das einer an. Du widersprichst dir ja selbst. Merkst du das nicht?«
    »Könnten wir uns bitte einfach die Karte anschauen?«
    Jake stapfte zu Zoe hinüber, die vor einer Landkarte stand.
    »Ist gar nicht schwer«, meinte sie, ohne aufzuschauen. »Wir fahren die Piste etwa bis auf halbe

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