Schneestille
eine Axt gesehen hatte, die in einem Holzklotz steckte. Er erklärte, er wolle losgehen und Kienspäne hauen. Er meinte, wenn nötig, würden sie vor dem Kamin übernachten.
Während er unterwegs war, fegte Zoe die Feuerstelle und bereitete alles für seine Rückkehr vor. In einer kleinen Nische in der gemauerten Einfassung entdeckte sie einen Satz Spielkarten. Sie nahm ihn heraus. Es waren so etwas wie Tarotkarten. Zoe hatte schon vorher solche Kartensätze gesehen, und dieses war eine europäische Version der Großen Arkana mit französischen Bezeichnungen. Die meisten der großen Karten waren genauso wie in den herkömmlichen Tarotkartensätzen, La Lune, Le Soleil und so weiter, aber manche waren auch anders. Eine Karte hieß Le Montagne , der Berg, und auf einer anderen war ein Kompass abgebildet, womöglich statt des sonst üblichen Rad des Schicksals. Eine weitere Karte war Le Chien , dabei gab es ihres Wissens nach im Tarot sonst keine Karte mit einem Hund. Und dann entdeckte sie eine Karte, bei deren Anblick ihr die Luft wegblieb.
Darauf zu sehen war die Darstellung zweier schwarzer Vögel, die beiderseits eines Torbogens hockten. Sofort musste sie an die beiden großen Krähen denken, die ihr an jenem Morgen begegnet waren, als sie zu dem verlassenen Polizeiauto marschiert war. Sie schauderte.
Langsam begann sie, die Karten durchzusehen auf der Suche nach dem Tod. Immer langsamer drehte sie die einzelnen Karten um, wohl wissend, dass sie irgendwo dabei sein musste. Dann entschloss sie sich, wie auch immer sie aussehen mochte, sie wollte die Karte nicht sehen. Also raffte sie das Blatt zusammen und steckte es wieder in die kleine Aussparung des Kamins, in der sie es entdeckt hatte.
Als Jake mit dem Kienholz zurückkam, half sie ihm. Sie machten alles bereit, zündeten das Feuer aber noch nicht an. Die Karten erwähnte sie mit keinem Wort.
Die Lebensmittel auf der Arbeitsplatte in der Küche waren verdorben. Jake räumte sie fort. Er hatte das Ganze beobachtet, als betrachtete er eine tickende Uhr; nun aber kamen ihm unerfreuliche Assoziationen mit Maden und Fäulnis, also kratzte er alles zusammen, warf es in einen Plastikmülleimer und brachte die Tüte dann hinter das Hotel. Anschließend schrubbte er die Arbeitsfläche mit Chlorbleiche.
Sie hatten nun weder Strom noch Gas zum Kochen, also stellten sie sich eine Mahlzeit aus Käse, Kräckern und Obst zusammen. Und natürlich einer ausgezeichneten Flasche Rotwein. Ihm ging der Gedanke durch den Kopf, dass ihnen das Essen lange vor dem Wein ausgehen würde.
»Die Sünde wird uns nicht so schnell ausgehen«, meinte er, während er den Korken aus der Flasche zog.
»Was?«
»Ich sagte, der Wein wird uns nicht so schnell ausgehen.« Er reicht ihr ein Glas. »Da.«
»Nein, hast du nicht. Du sagtest, die Sünde wird uns so schnell nicht ausgehen.«
»Hab ich das?«
»Ja.«
»Muss mir so rausgerutscht sein.«
»Ja. Würdest du das Feuer jetzt anmachen?«
Also zündete er es an, und sie schauten gebannt zu, wie die Flammen um die Kienspäne züngelten, als sei es eine abendliche Unterhaltungsshow mit ungewissem Ausgang. Doch die Flammen verzehrten das Kienholz, und Jake legte kleine Scheite auf das Feuer. Die Flammen griffen danach wie lange Finger und zogen sie in ihren alles verschlingenden Schlund. Dann legte er größere Scheite nach, und schon bald loderte ein munteres Feuer in der Esse.
Die Dämmerung senkte sich herab wie ein Mantel, eine lautlose Invasion, eine Horde kriechender Geschöpfe, die das Hotel umzingelten. Jake schleifte ein paar Matratzen aus den nächstgelegenen Hotelzimmern und ging dann noch einmal los, um Steppdecken zu holen, während Zoe Kerzen besorgte und anzündete und überall auf der Rezeptionstheke und im ganzen Foyer verteilte. Draußen versank die Dämmerung in tiefer Dunkelheit.
Wortlos schaute Jake zu, als Zoe die Seitentür des Hotels verriegelte. Die Glastüren zur Eingangshalle verrammelte sie mit einem Paar antiker Deko-Skier, die sie von der Wand nahm und durch die Türgriffe fädelte, sodass die Tür sich von außen nicht mehr öffnen ließ.
»Erwartest du Besuch?«, fragte Jake mit einem schiefen Lächeln.
»Nein.«
»Den Teufel?«
»Nein.«
»Gott?«
»Nein.«
»Sonst jemand?«
»Halt die Klappe. Mir ist einfach wohler, wenn alles verriegelt und verschlossen ist, okay?«
Gemeinsam tranken sie zwei Flaschen Wein. Jake fütterte das Feuer fleißig mit Holzscheiten. Zoe machte es sich unter den
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