Schneetreiben
von Sandra Hahnenkamp.
»Können Sie sich erinnern, ob diese Frau unter den Fahrgästen war?«
Strieder betrachtete das Foto. »Na klar kann ich mich erinnern. Die
ist am Hauptbahnhof eingestiegen. Hatte einen langen schwarzen Mantel an.
Ziemlich altmodisch eigentlich, aber ihr stand er gut.« Er gab das Foto zurück.
»Ist das die Frau, die ermordet wurde?« Bevor Gratczek antworten konnte, fuhr
er fort: »Das muss sie sein, schließlich war der Mord in Birkenkotten, und
genau dort habe ich die Frau gestern rausgelassen. Es war doch Birkenkotten,
nicht wahr?«
»Ja, das stimmt. Diese Frau ist also in Münster eingestiegen und in
Birkenkotten ausgestiegen? Habe ich das richtig verstanden?«
Der Busfahrer zog die Stirn in Falten. »Was gibt es denn daran nicht
zu verstehen?« Dann blickte er auf das Foto, als wäre das Thema damit beendet.
»Jammerschade. Sie war echt ’ne schöne Frau.« Er zuckte gleichgültig mit den
Schultern und gab das Foto zurück. »War das alles, was Sie wissen wollten?«
»Ist Ihnen sonst irgendetwas im Zusammenhang mit dem Mordopfer
aufgefallen?«, fragte Gratczek.
»Nein. Was hätte mir auffallen sollen?«
»Hat sie sich merkwürdig verhalten? Wirkte sie vielleicht unruhig?
Oder hat sie geweint?«
»Nein, nichts dergleichen.«
»Hat sie mit einem der anderen Fahrgäste gesprochen?«
»Auch nicht. Sie saß ganz einfach auf ihrem Platz, hat Kopfhörer
getragen und aus dem Fenster gestarrt. Wie die meisten anderen im Bus auch.
Kurz vor Birkenkotten hat sie dann den Halteknopf gedrückt, und ich habe
gehalten und sie rausgelassen.« Er hob die Hände. »Das ist die ganze
Geschichte.«
Gratczek nickte. Zumindest wussten sie nun, dass Sandra Hahnenkamp
tatsächlich den Bus genommen hatte und bis zu der Bauernschaft gefahren war.
Somit war der Fundort wahrscheinlich identisch mit dem Ort, an dem die Tat
verübt worden war.
»Ist Ihnen sonst etwas aufgefallen? An der Haltestelle oder auch,
nachdem Sie weitergefahren sind? Vielleicht haben Sie etwas im Rückspiegel
bemerkt? Denken Sie bitte genau nach. Jeder noch so kleine Umstand kann für uns
sehr wichtig sein.«
Der Mann kaute nachdenklich an seinen Fingernägeln.
»Nein, sonst war da nichts«, sagte er. »Wenn man mal von dem Typen
absieht, der kurz hinter Birkenkotten unbedingt aussteigen wollte. Und das bei
dem Regen!«
Gratczek stutzte. »Wie bitte?«
»Na, da war so ein junger Kerl, der im Bus eingeschlafen war. Er kam
plötzlich nach vorne gerannt und meinte, dass er seine Haltestelle verpasst
hätte. Er bat mich, ihn am Straßenrand rausspringen zu lassen. Das war kurz
hinter Birkenkotten.«
»Haben Sie gehalten und ihn rausgelassen?«
»Na klar. Kann doch mal passieren. Soll der deswegen bis ins nächste
Dorf weiterfahren?«
»Könnten Sie diesen Mann beschreiben?«
Der Fahrer lehnte sich in seinem Stuhl zurück und kratzte an seinen
Bartstoppeln.
»Anfang bis Mitte zwanzig, würde ich sagen. Sehr blass, fast schon
ungesund. Klein und etwas bullig war er. Außerdem hatte er eine schlechte
Haltung.«
Gratczek traute seinen Ohren nicht. Was dieser Busfahrer in
gleichmütigem Tonfall erzählte, versprach zum entscheidenden Hinweis in diesem
Mordfall zu werden.
»Könnten Sie eine Minute hier warten?«, fragte Gratczek im Bemühen,
ruhig zu bleiben. »Ich bin sofort wieder da.«
Er ging langsam hinaus und schloss sorgfältig die Tür.
Dann rannte er durch die Büros seiner Kollegen und fragte aufgeregt
nach einem Foto von Martin Probst. Als er endlich eines aufgetrieben hatte,
lief er zurück zum Busfahrer.
»Ja, das ist der Typ«, bestätigte der. »Die Haare waren ein bisschen
länger, aber trotzdem bin ich sicher.«
»Wirklich? Dieser Mann war nämlich mit Sandra Hahnenkamp bekannt.
Wenn sie sich im Bus getroffen hätten, wären sie bestimmt ins Gespräch
gekommen.«
»Der Typ hat doch geschlafen, hinten in der vorletzten Reihe. Den
hat überhaupt keiner gesehen, so war der in seinen Sitz gesunken. Außerdem war
es ja dunkel.«
»Sind sich die beiden denn nicht am Bahnhof begegnet?«
Strieder dachte kurz darüber nach. »Ich stand eine Viertelstunde in
meiner Haltebucht, bevor ich losgefahren bin. Dieser Typ da«, sagte er und
deutete auf das Foto von Probst, »ist als Erster in den Bus gestiegen. Er stand
schon am Bahnhof und hat dort gewartet. Die Frau ist aber erst gekommen, als
ich abfahren wollte. Um ein Haar hätte sie den Bus verpasst. Wenn Sie mich
fragen, haben die beiden sich ganz einfach nicht
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