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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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die
durch das offene Tor der Scheune zu sehen waren.
    Ein Schäferhundmischling lief dem Auto entgegen. Mit lautem Gebell
tobte er um den Wagen herum, sprang gegen die Fahrertür und fletschte die
Zähne. Hambrock stellte den Motor ab und blieb im Wagen sitzen.
    Eine Frauenstimme ertönte. »Sindbad! Aus! Komm zurück!«
    Es musste Ingeborg Merschkötter sein. Hambrocks Herz schlug
schneller. Er bekam feuchte Hände. Du Dummkopf, sagte er sich, aber er konnte
nichts dagegen unternehmen.
    »Sindbad!« Am Scheunentor tauchte eine Frau in Latzhosen auf. Sie
war Anfang vierzig, genau wie er, doch trotz der weiten Latzhosen, die mehr
verbargen, als sie preisgaben, konnte er erkennen, dass sie noch immer die
Figur einer Fünfundzwanzigjährigen hatte. Sie zog die ölverschmierten
Arbeitshandschuhe aus, strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht und zog
den Hund vom Wagen weg. Dann sah sie Hambrock entschuldigend an. Der vertraute
Anblick versetzte ihm einen Stich. Allzu sehr hatte sie sich nicht verändert in
den Jahren.
    Er stieg aus und näherte sich vorsichtig.
    »Ist der Hund auf Polizeibeamte abgerichtet?«
    Sie lachte. »Er ist auf Männer abgerichtet. Nehmen Sie’s nicht
persönlich.«
    Wie auf ein Stichwort knurrte er erneut los. Sie zog warnend an
seinem Halsband, und er verstummte widerwillig.
    »Als Welpe war er richtig süß, auch wenn man sich das heute nicht
mehr vorstellen kann.«
    »Es ist gut, einen Wachhund zu haben. Zur eigenen Sicherheit.«
    Die Heiterkeit wich aus ihren Zügen. »Sie kommen wegen des
Mordfalls, nicht wahr? Ich habe eben erst davon erfahren. Hoffentlich kann ich
Ihnen helfen. Es ist eine grauenhafte Geschichte.«
    »Ja, das stimmt.« Hambrock zögerte, dann sagte er: »Erkennst du mich
nicht, Ingeborg? Ich bin’s, Bernhard.«
    Sie blickte ihn irritiert an. Auf einmal hellte sich ihr Gesicht
auf.
    »Bernhard? Bist du das wirklich? Du liebe Güte, ich hätte dich
beinahe nicht wiedererkannt. Es muss fast zwanzig Jahre her sein, dass wir uns
das letzte Mal gesehen haben.«
    »Zweiundzwanzig Jahre.«
    »So lange schon … Herrje.
Ich weiß noch, dass du zur Polizei wolltest. Aber ich hätte nie gedacht … Arbeitest du in Borken?«
    »In Münster. Bei der Kriminalpolizei. Wir ermitteln in diesem
Mordfall.«
    »Dass wir uns ausgerechnet unter solchen Umständen wiedersehen …« Sie deutete zum Haus. »Gehen wir
hinein, ich koche uns Kaffee. Aber tu mir den Gefallen und achte nicht auf die
Unordnung, die bei mir herrscht. Es ist nicht leicht, alleinerziehende Mutter
zu sein. Irgendwie komme ich mit dem Aufräumen nie hinterher.«
    Sie versuchte zu lachen, doch es klang ein wenig affektiert.
Hambrock dachte: Sie ist ebenfalls aufgeregt!
    Er folgte ihr in die Küche und setzte sich an den Tisch.
    Er hatte Ingeborg auf einer Dorfkirmes in Gescher kennengelernt, 1983 musste das gewesen sein.
Er war schon damals ein guter Schütze gewesen und hatte schnell gemerkt: Wer in
den Schießbuden mühelos die Plastikrosen schoss, konnte bei den Mädchen großen
Eindruck hinterlassen. Ingeborg war früher laut und frech gewesen, und er hatte
dieser vorlauten Kuh nur zeigen wollen, dass sie keine Chance gegen ihn hatte.
Aber dann hatte sie am Schießstand den Hauptgewinn getroffen und ihn vor all
seinen Freunden lächerlich gemacht.
    Ein Zufallstreffer, wie sich später herausstellte. Dennoch hatte sie
damit an jenem Abend ziemlich punkten können. Und es war der Auftakt ihrer
kurzen Liebesaffäre gewesen.
    »Hast du damals nicht geheiratet?«, fragte er und schob mit der Hand
die Krümel vom Tisch. »Diesen Typen aus Vreden, diesen … Wie hieß der noch?«
    »Wolfgang. Nicht gerade ein Glücksgriff.« Sie drehte ihm den Rücken
zu und füllte Wasser in die Kaffeemaschine. »Ich bin froh, dass er weg ist.
Hätte er mir nicht drei wundervolle Kinder geschenkt, wüsste ich nichts Gutes
über ihn zu sagen. Er war ein Säufer, ein Spieler und ein Blender. Seinetwegen
hätte ich beinahe den Hof verloren. Wenn ich ihn nicht aus dem Haus gejagt
hätte, würden wir heute allesamt auf der Straße leben.«
    Hambrock wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Sie schaltete die
Maschine ein und setzte sich zu ihm an den Tisch.
    »Und was ist mit dir?«, fragte sie.
    »Mit mir?«
    »Bist du verheiratet?«
    »Oh.« Er geriet ins Stottern. »Ja … bin ich. Sie heißt Erlend, wir haben
bereits vor zwölf Jahren geheiratet.«
    »Erlend … eine
Holländerin?« Sie lächelte, und ihre Augen bekamen einen

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