Schneetreiben
erschrecken.«
Sie war völlig perplex. »Aber was machst du hier, mitten in der
Nacht? Kannst du mir das mal erklären?«
Bevor er antworten konnte, trat eine weitere Person aus den Büschen,
Lina.
»Hallo, Frau Merschkötter.« Sie winkte Klara im Türrahmen zu.
»Entschuldigen Sie bitte. Eigentlich sollten Sie gar nicht erfahren, dass wir
hier sind. Wir hatten nicht damit gerechnet, entdeckt zu werden.« Sie tauschte
einen Blick mit Marc, der ihr zunickte. »Marc und ich sind heute für die
Nachtschicht eingeteilt. Die geht bis morgen früh um fünf, dann werden wir
abgelöst. Das nächste Team bleibt bis Mittag, dann ist wieder Übergabe.«
Ingeborg Merschkötter sah sie verständnislos an. »Wovon um Himmels
Willen redest du, Lina?«
»Wir bewachen das Haus«, sagte Marc. »Die ganze Landjugend macht
mit. Wir haben Teams zusammengestellt, die rund um die Uhr im Einsatz sind.
Martin soll keine Chance haben, zu Klara zu gelangen. Das wollen wir
verhindern.«
Klaras Mutter stützte sich auf die Harke und sah die beiden gerührt
an. »Das macht ihr also hier? Und wir sollten nichts davon erfahren?«
»Sie sollten sich keine Sorgen machen. Gehen Sie wieder schlafen,
Frau Merschkötter. Wir bleiben hier draußen.«
Ein Auto bog auf den Schotterweg und fuhr zu dem Hof hinauf. Es war
der Streifenwagen, den sie gerufen hatte. In diesem Moment begann der Hund in
der Scheune zu kläffen, wo er angekettet lag. Ingeborg Merschkötter wechselte
mit ihrer Tochter einen Blick, und Klara ahnte schon, was ihr durch den Kopf
ging. Auf den Hund ist eben kein Verlass, aber das ist auch kein Wunder,
schließlich hat ihn dein Vater damals besorgt.
»Kommt erst einmal in die Küche«, sagte sie laut. »Ich mache euch
eine heiße Schokolade. Es ist doch schrecklich kalt hier draußen. Ihr müsst ja
erfrieren!«
Der Streifenwagen hielt vor der Tennentür, ein Beamter stieg aus und
ging auf die Gruppe zu, die sich im Garten versammelt hatte.
»Geht hinein«, sagte sie. »Ich erkläre den Polizisten rasch, was
geschehen ist. Vielleicht möchten sie ja auch eine Schokolade.«
Lina und Marc trotteten zu der offenen Tür. Im Vorbeigehen konnte
sich Lina ein Grinsen nicht verkneifen. »Tolles Outfit übrigens, Frau
Merschkötter. Damit lassen sich Einbrecher bestimmt gut verjagen.«
Ingeborg sah sie irritiert an, dann betrachtete sie ihren
Schlafanzug und begann zu lachen.
»So, rein mit euch«, sagte sie, »bevor ich es mir anders überlege.«
Später saßen Klara und Lina allein in ihrem Zimmer auf dem Bett.
Marc hatte sich unten im Wohnzimmer auf die Couch gelegt. Wo nun alle wussten,
was die Landjugend im Garten der Merschkötters trieb, hatte Klaras Mutter
darauf bestanden, dass die beiden im warmen Haus blieben und nicht zurück in
die Kälte gingen.
Lina hatte sich eines von Klaras Nachthemden ausgeliehen und saß mit
einem Kissen im Schoß im schwachen Schein der Nachttischlampe da.
»Bist du böse, dass ich nichts gesagt habe? Tut mir echt leid, aber
die anderen fanden, dass ihr nichts mitbekommen solltet.«
Klara war deshalb nicht sauer. Trotzdem hatte sie ein seltsames
Gefühl bei der Sache. Sie wollte nicht, dass andere sich organisierten, um sie
zu bewachen. Sie wollte keine Hilfe. Das zeigte nur, wie schutzbedürftig sie
war. Als wüssten alle, dass sie zu schwach war, um sich selbst zu helfen.
Lina riss sie aus ihren Gedanken.
»Ich hab dich gefragt, ob du sauer bist.«
Klara starrte auf die Bettdecke. »Nein.«
Ich kann mich nicht wehren, dachte sie wütend, und das alles nur
wegen diesem Scheißkerl!
»Ich wünschte, er wäre tot!«, sagte sie. Dann gestand sie ihrer
Freundin: »Und nicht nur das, Lina. Ich wünschte, ich hätte ihn getötet.«
»Er wird nicht mehr hierherkommen.« Lina rückte näher. Sie nahm
Klaras Gesicht zwischen die Hände und zwang sie, ihr in die Augen zu blicken.
»Wir passen auf dich auf, hörst du? Er hat keine Chance.«
Trotz ihrer zwiespältigen Gefühle durchfuhr Klara eine Welle der
Dankbarkeit. Auf Lina war Verlass, ganz egal, was passierte.
»Da draußen ist es doch eiskalt«, sagte sie mit einem Lächeln. »Was
tut ihr euch da nur an? Und alles wegen mir?«
»Die Leute von der Landjugend fanden die Idee ganz toll! Und sie war
nicht einmal von mir, Bertolt Lütke-Brüning ist darauf gekommen.«
»Und selbst Marc macht da mit! Das hätte ich niemals gedacht.«
»Natürlich macht er mit! Was denkst denn du? Sonst hätte er sich
morgen eine neue Freundin suchen
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