Schneetreiben
können!«
Klara lachte. »Du hast ihn also gezwungen.«
»Das musste ich nicht mal. Er hat es auch so verstanden.«
Eine Weile schwiegen beide.
»Wo ist eigentlich Jens?«, fragte Lina schließlich.
»Zu Hause. Ich wollte lieber allein sein.«
Lina unterdrückte einen Kommentar. Klara war dankbar. Ihre Freundin
hatte ein Gespür dafür, in welche Bereiche sie besser nicht vordrang.
Doch im Grunde basierte genau darauf ihre Freundschaft. Sie wussten
beide, wann sie die andere besser in Ruhe ließen. Denn so wie Lina keine Fragen
zu Martin stellte, so stellte Klara keine Fragen zu Tim, Linas Bruder, der vor
sieben Jahren tödlich verunglückt war. Das war nämlich Linas großes Tabu. Tim
hatte sich nach einer Party betrunken hinters Steuer gesetzt und war in einer
Kurve gegen einen Baum geknallt. Er war bei lebendigem Leibe verbrannt, und an
der Stelle, an der er umgekommen war, stand ein Holzkreuz am Straßengraben.
Lina sorgte dafür, dass dort immer frische Blumen und ein Grablicht waren, auch
heute noch, sieben Jahre danach.
Manchmal glaubte Klara, dass Lina sie deshalb so gut verstand. Sie
beide wurden von Geistern bedrängt, die ihnen keine Ruhe ließen. Auch wenn sie
niemals darüber redeten, fühlten sie sich trotzdem dadurch verbunden.
»Ich bin schrecklich müde«, sagte Lina. »Was meinst du, sollen wir
schlafen?«
»Ja, das ist eine gute Idee.«
Sie legten sich hin und schoben die Kissen zurecht. Klara löschte
das Licht der Nachttischlampe und rollte sich unter der Decke zusammen. Sie
lauschte auf Linas Atem und auf das Surren der Kornmühle ihrer Nachbarn. Es
dauerte nicht lange, bis sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf glitt.
6
Bei der morgendlichen Teamsitzung im Polizeipräsidium
stand der Mordfall Sandra Hahnenkamp ganz oben auf der Tagesordnung.
Hauptverdächtiger war Martin Probst, und Hambrock musste anerkennen, dass die
gegen ihn zusammengetragenen Indizien erdrückend waren. Die Fahndung lief auf
Hochtouren. Doch bislang war sie erfolglos geblieben. Eine Hundertschaft sollte
nun eingesetzt werden, um die Wälder und Heideflächen rund um Birkenkotten zu
durchkämmen. Zudem würde sich ein Observationsteam vor dem Haus von Dorothea
Probst postieren, in der Hoffnung, dass der Verdächtige früher oder später dort
auftauchte.
Hambrock blickte in die Runde. »Haben wir schon den Obduktionsbericht?«,
fragte er.
Eine junge Kollegin meldete sich zu Wort. »Tod durch Erwürgen, wie
wir bereits vermutet haben. Das Opfer wurde vergewaltigt und dann bis zum
Eintritt des Todes gewürgt. Erst danach wurde es in den Graben geworfen.«
»Was ist mit Abwehrspuren?«
»Es dauert sehr lange, einen Menschen zu erwürgen. Sie hat sich
gewehrt. Der Täter muss einiges eingesteckt haben.«
Hambrock wandte sich an Christian Möller, den Spurenbeamten. »Habt
ihr die Leiche als Spurenträger untersucht?«
»Das haben wir.« Möller schob seine Unterlagen zurecht. »Im Wasser
ist natürlich viel verloren gegangen. Aber wir haben Haut- und Blutpartikel
unter den Fingernägeln der Toten gesichert. Das Ergebnis der DNA-Analyse ist noch nicht da.
Wenn wir ganz viel Glück haben, kommt es noch Ende dieser Woche.«
»Was ist mit Spermaspuren?«, fragte Hambrock.
»Spermaspuren gab es an der Leiche keine, die Penetration erfolgte
mit einem Kondom.«
»Weshalb sollte Martin ein Kondom benutzt haben?«, fragte Guido
Gratczek, der an der Fensterbank lehnte und Kaffee trank. »Sollte er
tatsächlich geglaubt haben, ungeschoren davonzukommen?«
»Wir wissen nicht, ob es Martin war«, erinnerte Hambrock ihn, doch
Gratczek machte nur eine wegwerfende Handbewegung.
»Hast du etwas über die Beziehung zwischen Sandra Hahnenkamp und
Martin Probst herausfinden können?«, fragte Hambrock weiter. »Gibt es einen
Hinweis auf ein mögliches Motiv?«
Bevor Gratczek antworten konnte, öffnete sich die Tür des
Gruppenraums, und Heike Holthausen trat ein. Sie hatte bereits angekündigt,
dass sie wieder gesund sei und sich ein wenig verspäten werde.
Sie warf ihrem Chef ein entschuldigendes Lächeln zu und setzte sich
auf einen freien Platz in der Runde. »Es gab Ärger im Kindergarten, deswegen
die Verspätung.«
»Kein Problem. Schön, dass du wieder da bist«, meinte Hambrock und
gab Gratczek ein Zeichen.
»Martin Probst und Sandra Hahnenkamp haben in der Realschule in
Stadtlohn dieselbe Klasse besucht«, berichtete Gratczek. »Offenbar haben sie
sich ganz gut verstanden, auch wenn sie nicht direkt miteinander
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