Schneetreiben
ihm keine Hoffnung gemacht. Es war endgültig
vorbei.«
»Und wieso sagen Sie mir das erst jetzt?«
»Na, weil es ja im Grunde keine Rolle spielt, oder? Sie wissen doch,
wer den Mord begangen hat. Es war dieser Vergewaltiger, der aus dem Knast
geflohen ist. Außerdem hat Tilmann ein Alibi für diese Nacht, er hat mir längst
erzählt, dass Sie eines von ihm haben wollten.«
»Aber trotzdem hätten Sie doch …«
Sie funkelte ihn angriffslustig an. »Dann müssen Sie eben das
nächste Mal danach fragen.«
Ihm platzte der Kragen. »Himmel noch mal, ich untersuche den Mord an
Ihrer Freundin! Ist Ihnen denn egal, was mit ihr geschehen ist?«
Sie erwiderte nichts, sondern verschränkte die Arme und starrte
wütend auf die Bodenfliesen.
Gratczek atmete durch. »Es tut mir leid. Ich habe die Beherrschung
verloren.«
Sie sah gequält auf. »Es ist mir nicht egal, was mit ihr geschehen
ist. Ganz und gar nicht. Ich fand es wirklich nicht wichtig, das zu erzählen.«
»Und weshalb nicht?«
Sie richtete sich auf und legte viel Überzeugung in ihre Stimme:
»Weil ich ganz sicher bin, dass er unschuldig ist. Er hat nichts mit der Sache
zu tun.«
Während sie sprach, sah Gratczek ihr fest in die Augen.
Er war überzeugt, dass sie nicht die Wahrheit sagte. Es musste einen
anderen Grund geben, weshalb sie der Polizei die Trennung verschwiegen hatte.
Es war kurz vor zehn Uhr, im Haus war es totenstill.
Tilmann Feth hatte sämtliche Lichter in der Wohnung gelöscht. Der sanfte Schein
der Straßenlaternen musste für seine Pläne ausreichen.
Mit einem Ruck zog er die Sporttasche unter seinem Bett hervor und
tastete sich dann durch den dunklen Kleiderschrank. Er fand Unterwäsche, Socken
und eine Jeans zum Wechseln. Hastig stopfte er alles in die Tasche.
Die Stille wurde vom Läuten an der Tür durchschnitten. Tilmann
erstarrte.
Es kann dir nichts passieren, sagte er sich. Niemand weiß, dass du
hier bist.
Vorsichtig schlich er zum Fenster. Dort hielt er sich hinter einem
buschigen Ficus verborgen und sah hinunter auf die Straße. Vor seinem Haus
stand Guido Gratczek, der Polizist, der ihn nach Hause gefahren hatte. Gerade
trat er einen Schritt zurück und blickte hinauf zu seinen Fenstern.
Tilmann wich erschrocken zurück und tauchte in die Dunkelheit. Es
dauerte nicht lange, da setzte sich der Polizist in Bewegung und ging zurück zu
seinem Wagen. Ein letztes Mal blickte er hinauf zu seiner Wohnung, dann stieg
er ins Auto und fuhr davon.
Tilmann atmete erleichtert durch. Heute war er noch einmal
davongekommen. Trotzdem konnte er nicht mehr in seiner Wohnung bleiben. Er
würde eine Zeit lang untertauchen. Diese Nacht wollte er bei einem Freund in
Münster übernachten, und morgen würde es dann weitergehen.
Er zerrte den Reißverschluss seiner Tasche zu, nahm seinen Schlüssel
und machte sich auf den Weg.
8
Eine der Sturmböen hatte einen morschen Ast von der alten
Pappel am Wegesrand gerissen und ihn quer über den Schotterweg geworfen.
Hambrock musste das geheizte Wageninnere verlassen und hinaus in das Unwetter,
um ihn aus dem Weg zu räumen. Als er zurück zum Wagen lief, war nichts mehr an
ihm trocken. Selbst seine Unterwäsche klebte nass am Körper. Er fluchte.
Heike saß im hell erleuchteten Innern, das Radio spielte einen
Lovesong. Die Scheibenwischer flatterten in der höchsten Stufe über die
Windschutzscheibe, und doch verschwand ihr Gesicht immer wieder hinter
fließendem Wasser.
Hambrock beugte sich durch die offene Beifahrertür.
»Ich glaube, es ist besser, wenn ich den Rest zu Fuß gehe. Ich mache
dir sonst nur den Sitz nass.«
»Das macht nichts, ist doch ein Dienstwagen. Komm schon, steig ein.
Beeil dich.«
Er blickte hinauf zum Hof der Merschkötters. Keine fünfzig Meter entfernt
leuchteten hinter Regenschleiern die erhellten Fenster.
»Fahr nach Münster. Du kannst Feierabend machen.«
»Aber wie willst du denn von hier wieder wegkommen?«
Hambrock wurde ungehalten. Auch wenn er bereits durchnässt war,
hatte er keine Lust, im eiskalten Regen zu stehen und Diskussionen zu führen.
»Keine Ahnung. Ich nehme mir ein Taxi.«
»Ein Taxi? Weißt du, was das kostet? Es ist eine knappe Stunde bis
nach Münster.«
»Heike, bitte! Vielleicht bringt mich ja ein Streifenwagen nach
Hause.«
»Quatsch, ich kann auf dich warten. Das ist kein Problem.«
»Verflucht noch mal, jetzt verschwinde! Du bist gerade erst wieder
gesund, und außerdem hast du Kinder, die auf dich warten. Gute
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