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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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eintrat,
holte sie gerade ein Blech mit aufgebackenen Brötchen aus dem Ofen.
    »Du lieber Himmel, Ingeborg, was ist denn da draußen bloß los?«
    Sie lächelte. »Seit einer guten Stunde herrscht totales Chaos. Die
Schulbusse sind zwar gefahren, aber ich habe die Kinder gar nicht erst geweckt.
Als ich im Büro angerufen habe, war ich nicht die Einzige, die sich heute
abgemeldet hat. Bei dem Wetter fahre ich lieber nicht in die Stadt.«
    Hambrock blickte in den Sturm hinaus, doch er konnte die Straße
unten am Hügel nicht erkennen.
    »Ich wusste gar nicht, dass du arbeiten gehst.«
    »Was denn sonst?«, fragte sie mit einem Lachen. »Denkst du, ich kann
von acht Hühnern und drei Schafen leben?« Sie deutete zur Waschküche. »Du
kannst deine Sachen wieder anziehen, ich habe sie getrocknet.«
    In diesem Moment kam Klara in die Küche. Sie war bereits angezogen,
trug Jeans und einen dicken Wollpulli, und Hambrock fühlte sich ein wenig
deplatziert in seinem Morgenmantel.
    Klara war aufgeregt wie ein Kind.
    »Guckt doch mal nach draußen!«, rief sie. »Wahnsinn, oder? Ich hätte
nie gedacht, dass der Schnee liegen bleibt.«
    »Es ist heute Nacht ziemlich kalt geworden«, sagte Ingeborg.
»Trotzdem schätze ich mal, dass bis zum Mittag alles wieder geschmolzen ist.«
    »Dann müssen wir uns beeilen!« Klara lief zurück in die Diele.
»Lino! Anni! Steht schnell auf! Es schneit!«
    Es dauerte nicht lange, da kamen die Kinder im Schlafanzug die
Treppe hinuntergelaufen.
    »Kommt schnell zum Fenster«, rief Klara, und die Kinder folgten ihr
in die Küche zur gläsernen Terrassentür. Staunend und mit großen Augen blickten
sie hinaus.
    »Wir machen heute eine Schneeballschlacht!«
    »Hurra!«, riefen die Kinder. »Jetzt gleich!«
    »O nein, das vergesst mal ganz schnell«, sagte Ingeborg. »Ihr zieht
euch erst etwas an, und dann frühstücken wir.«
    »Bitte, bitte, bitte, bitte!«
    »Auf keinen Fall. Ihr holt euch da draußen nur den Tod.«
    Der Junge rief: »Ich will nur eine Schneeflocke essen!«, und das Mädchen stimmte ein: »Ich auch! Nur eine Schneeflocke! Bitte!«
    »Komm schon, Mutter, nur ganz kurz«, sagte Klara, »ich trockne die
beiden dann ab und ziehe sie an.«
    Ingeborg wurde weich. »Also gut.« Sie stach den beiden mit dem
Finger in die Brust. »Aber nur eine Schneeflocke!«
    »Hurraaa!«
    Klara wollte die Tür öffnen, doch durch den Sturm entstand ein
Unterdruck, und sie musste kräftig ziehen, um sie überhaupt einen Spalt weit
aufzubekommen. Der Wind pfiff, und irgendwo im Haus knallte eine Tür.
    »Kommt schnell raus«, sagte sie.
    Die beiden zögerten, der Sturm schien heftig zu sein, doch dann
rannten sie gemeinsam mit ihrer großen Schwester hinaus.
    Was folgte, war lautes, erschrockenes Quieken. Die Kinder
strauchelten, als würden sie von einem Schwarm Fledermäuse angegriffen. Dicke
Flocken schlugen von allen Seiten auf sie ein. Sie duckten sich, suchten Halt
und rannten Sekunden später zurück durch die Tür, die Ingeborg ihnen aufhielt.
    Erschrocken und gleichzeitig tief beeindruckt schüttelten sie den
Schnee ab und sahen hinaus zu ihrer Schwester.
    »Mama, kuck mal!«, juchzte Anni.
    Draußen stemmte sich Klara theatralisch gegen die Flocken und den
scharfen Wind. Dann tat sie, als würde sie von einem Kugelhagel niedergestreckt
werden, und ließ sich in den nassen Schnee fallen. Sie rappelte sich mühsam
auf, nur um erneut dramatisch umzukippen.
    Die Kinder quiekten vor Vergnügen. Ingeborg lachte ebenfalls. Sie
blickte zu Hambrock, der das Aufleuchten in ihren Augen bemerkte. Er erinnerte
sich an das, was sie zu ihm gesagt hatte. Manchmal ist Klara wie früher, dann
ist es, als wäre die Sache mit Martin niemals passiert. Offenbar war jetzt so
ein Moment, und er betrachtete zufrieden Ingeborg, die er vor langer Zeit
einmal so sehr geliebt hatte.
    Klara kehrte ins Haus zurück, frierend und völlig außer Atem.
    »Mit der Schneeballschlacht warten wir besser, bis der Sturm vorbei
ist«, sagte sie. »Ich geh mal nach oben und zieh mir einen trockenen Pullover
an.«
    Hambrock hielt das für eine gute Idee und steuerte die Waschküche
an, um sich ebenfalls umzuziehen.
    »Beeilt euch!«, rief Ingeborg ihnen hinterher. »Das Frühstück ist
gleich fertig!«
    Als Klara in ihr Zimmer kam, war Martin Probst da.
    Er stand mitten auf dem leuchtend weißen Flokati, die Balkontür
hinter ihm war offen, und Fußspuren führten quer durch den Raum.
    Sie starrte entsetzt in seine dunklen Augen. Eine

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