Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
Vom Netzwerk:
Sekunde lang. Dann
setzte die Lähmung ein. Der Atem wurde aus ihren Lungen gepresst, ihr Körper
weigerte sich, erneut Luft zu holen, sie taumelte.
    Als nächstes fuhr ein Windstoß durch den Raum und drückte die
Zimmertür hinter ihr ins Schloss. Es gab einen lauten Knall, dann wurde es
still.
    Martin machte einen Schritt auf sie zu. »Klara …«
    Ihre Beine gaben nach. Sie knickten einfach ein, und Klara rutschte
an der Wand entlang zu Boden. Ihrem Körper entfuhr ein Röcheln. Panik erfasste
sie. Du musst in den Flur. Die anderen sind unten in der Küche. Du musst sie
nur rufen, dann kommen sie sofort. Geh hinaus in den Flur. Beeil dich.
    Doch sie schaffte es nicht, sich zu bewegen. Sie schaffte es nicht
einmal, nach Luft zu schnappen.
    Martin machte einen weiteren Schritt auf sie zu und dann noch einen.
    Nun war er über ihr. Sein Schatten fiel auf ihren Körper. Sie sah
nur noch eine dunkle Silhouette vor leuchtendem Schnee.
    »Klara …«
    Tu etwas!, rief eine Stimme. Du bist nicht schwach! Du kannst dich
wehren! Du bist nicht schwach!
    Stockend füllten sich ihre Lungen mit Luft. Ihre Brust bebte, und
immer mehr Atemluft strömte hinein. Sie rutschte von der Silhouette weg, wandte
sich zur Tür.
    Und endlich begann sie zu schreien.

9
    Hambrock stand im Nähzimmer vor seinem Nachtlager, als er
die Schreie hörte. Er hatte seine Kleidung auf dem Bett ausgebreitet und war im
Begriff, den Morgenmantel auszuziehen. Klara!, schoss es ihm durch den Kopf.
    Sofort stürmte er hinaus in die Diele. Ingeborg kam aus der Küche
gelaufen, blieb stehen und sah ihn erschrocken an. Er achtete nicht auf sie, lief
zur Treppe und war mit wenigen Sätzen oben. Auf Socken und im Morgenmantel
krachte er in Klaras Zimmer. Feuchte und kalte Luft schlug ihm entgegen. Die
Balkontür stand sperrangelweit offen, der Wind zerrte am Vorhang und ließ ihn
herumflattern.
    Klara kauerte am Boden, in ihrem Gesicht stand die nackte Angst.
Zitternd deutete sie zum Balkon. Hambrock konnte sich bereits denken, was
geschehen war. Martin Probst war aufgetaucht, er musste es irgendwie geschafft
haben, sich Zugang zu ihrem Zimmer zu verschaffen, ohne dass jemand es bemerkt
hatte. Hambrock lief zur Balkontür und blickte hinaus. Im Schneegestöber war
eine Gestalt zu erkennen, die sich rasch in Richtung der Kiefernwälder
entfernte.
    Ingeborg kam ins Zimmer, erfasste die Situation und stürmte auf
Klara zu. Hambrock konzentrierte sich ganz auf den Flüchtenden. Da war eine
Tanne neben dem Balkon. Dort musste Probst hinaufgeklettert sein. Mit einem
Satz war Hambrock auf dem Balkon und schwang sich über das Geländer. Dann griff
er in die stacheligen Zweige und stieß sich ab. Die nasse schneebedeckte Tanne
bot kaum Halt, er rutschte ab, krallte sich vergebens in ihre Zweige und
strampelte. Ein Ast brach, er rutschte weiter und landete schließlich im dünnen
Schnee. Die weiche Haut seiner Schenkel war aufgeritzt, überall steckten
Tannennadeln. Er stöhnte. Seine Schulter war ebenfalls lädiert, beim Sturz war
er hart auf dem Oberarm gelandet.
    Er ignorierte die Schmerzen, stand mühsam auf und taumelte.
Millionen von Schneeflocken droschen auf ihn ein, der Wind zerrte am
Morgenmantel.
    Martin Probst hatte seinen Vorsprung vergrößert, er war jetzt nur
noch eine ferne Silhouette im Schneegestöber. Dennoch glaubte Hambrock, ihn
erwischen zu können. Der Abstand war nicht unüberbrückbar. Er hastete los, über
den Rasen, an den Büschen vorbei und zum Gartenzaun. Seine Socken waren schnell
durchweicht, seine Füße begannen vor Kälte zu schmerzen.
    Er sprang über den Zaun auf den Acker, Martin Probst fest im Blick.
Ein plötzlich aufflammender Schmerz raubte ihm den Atem. Es verbargen sich
kleine Feldsteine unter dem Schnee, dazu die Stöcke umgepflügter Maispflanzen.
Sie bohrten sich wie Messer in seine tauben Fußsohlen. Er humpelte ein paar
Schritte weiter und versuchte, Steine und Stöcke zu umgehen, dann blieb er
stehen, stemmte sich gegen den Wind und sah zum Kiefernwald. Probst entfernte
sich weiter, er vergrößerte seinen Abstand. Hambrock würde ihn nicht mehr
einholen. Nicht im Morgenmantel.
    »Verflucht!« Er drehte sich um und stolperte zurück zum Haus. Er
musste Verstärkung holen. Die Polizei war irgendwo in der Nähe, dieses Mal
würde Probst ihnen nicht entkommen.
    Als er an der Stalltür angekommen war, die zur Waschküche führte,
zitterte er am ganzen Körper. Der Morgenmantel war durchnässt, in seinem Haar
klebten dicke

Weitere Kostenlose Bücher