Schneetreiben
auf
den Dächern der umliegenden Häuser und auf dem Rasen vor dem Präsidium bildete
sich eine dünne und verletzliche Schneeschicht. Kaum vorstellbar, dass ihr Chef
nur sechzig Kilometer westlich im Schnee festsitzen sollte.
Auf dem Stadtring drehte sie am Autoradio und stellte den
Verkehrsfunk ein.
»… sorgt heftiger
Schneefall für Verkehrsbehinderungen im gesamten westlichen Münsterland. Auf
der A1 Münster Richtung Osnabrück
zwischen Lengerich und Autobahnkreuz Lotte ist die Autobahn aufgrund quer
stehender Lastkraftwagen voraussichtlich für mehrere Stunden gesperrt. Die A31 zwischen Ausfahrt Gescher/Coesfeld
und Legden/Ahaus ist ebenfalls für voraussichtlich mehrere Stunden in beiden
Richtungen gesperrt. Grund hierfür ist ein herabgerissenes Stromkabel, das die
Autobahn blockiert. Die Polizei bittet die Reisenden, das Gebiet weiträumig zu
umfahren …«
Du lieber Himmel, was war denn da draußen los? Vielleicht war es
doch ganz gut, dass Hambrock darauf bestanden hatte, Winterreifen aufziehen zu
lassen.
Je weiter sie nach Westen gelangte, desto stärker wurde der
Schneefall. Die Straßen waren jedoch weitgehend geräumt, und sie kam recht gut
voran. Es war ein beeindruckendes Schauspiel, das sich ihr bot. Im dichten
Schneetreiben versank allmählich die Landschaft um sie herum, und schon bald
war jenseits der wild schlagenden Scheibenwischer kaum mehr zu sehen als die
Rücklichter des Vorderwagens. Es ging immer langsamer voran, und sie begann
sich zu fragen, ob sie tatsächlich so ohne Weiteres nach Legden und dann nach
Birkenkotten gelangen würde.
Auf ihrem Weg lag der Schöppinger Berg, eine der wenigen Erhöhungen
im sonst flachen Münsterland. Wie viele der Autos, die unterwegs waren, würden
die Steigung problemlos nehmen können?
Vielleicht war es besser umzukehren, dachte sie. Doch da lag der
Berg schon vor ihr, und es trennten sie nur noch wenige Kilometer von der
Steigung. Auf der Hochebene sah sie die zahlreichen Windräder, die dem Unwetter
trotzten. Die roten Warnleuchten blinkten in den tiefhängenden Wolken. Ein
Schulbus hatte den Berg bereits zur Hälfte erklommen und arbeitete sich
unbeirrt voran.
Komm, das schaffst du auch, sagte sie sich. Und danach hast du es
überstanden, dann hast du freie Fahrt.
Sie schaltete einen Gang herunter und blieb in der Spur. Der Wind
fegte über den Hang und ließ die Flocken beinahe waagerecht an ihrem Wagen
vorbeischießen. Die Spurrillen waren dunkel und matschig, doch bei Temperaturen
knapp über dem Gefrierpunkt gefror der Matsch nicht zu Eis.
Vor ihr geriet ein Wagen aus der Spur und schlingerte nach rechts
und links, dann bekam der Fahrer den Wagen wieder unter Kontrolle, und es ging
langsam weiter.
Gleich würde sie oben sein.
Doch da geriet der Verkehr ins Stocken. Sie reagierte im letzten
Moment auf die Bremslichter des Vorderwagens und hielt. Dann sah sie zur Kuppe
des Berges hinauf. Der Schulbus, den sie zuvor beobachtet hatte, stand quer auf
der Straße. Der Fahrer musste die Kontrolle verloren haben.
»Verdammt!«
Sie stellte den Motor ab, zog die Handbremse und wartete.
Zunächst geschah nichts. Die Zeit verging, und der Schnee wirbelte
um die Eingeschlossenen herum. Irgendwann öffneten sich in der Autoschlange
einzelne Fahrertüren, Menschen stiegen aus, stapften durch den Schnee und
besprachen sich mit dem Busfahrer. Die Schulkinder sprangen auf ihren Sitzen
herum und schienen die Situation recht aufregend zu finden. Nach einer Weile
gingen die Leute zurück zu ihren Autos, um sich vor dem Sturm zu schützen.
Heike wartete. Im Rückspiegel sah sie, dass sich hinter ihr immer
mehr Autos stauten. Polizei und Feuerwehr mussten doch langsam eintreffen.
Aber es passierte nichts. Die Menschen verließen erneut ihre Autos
und diskutierten miteinander. Der Busfahrer trat hinzu, hob bedauernd die
Schultern und schüttelte den Kopf. Schließlich setzte sich die Gruppe in
Bewegung und machte sich daran, den Berg hinunterzusteigen. Als sie Heikes
Wagen passierten, schlug sie den Kragen ihrer Jacke hoch und stieg aus. Sie
sprach den erstbesten Passanten an, einen Mann Ende zwanzig mit dunklem Haar
und leuchtend blauen Augen.
»Haben Sie …?« Sie stockte.
Sah der gut aus! »Haben Sie etwas erfahren können?«, rief sie gegen den Wind.
»Was ist denn nun mit dem Bus?«
»Es wird wohl eine Weile dauern, bis etwas passiert. Die Feuerwehr
ist pausenlos im Einsatz. Es gibt überall Notfälle wegen umgestürzter Bäume,
die
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