Schneetreiben
Dann hat eine Zeugin ausgesagt, in der
Tatnacht einen roten Seat Ibiza an der Haltestelle gesehen zu haben. Wir wissen
inzwischen, dass Feth einen solchen Ibiza fährt.«
»Das bedeutet, er war am Tatort.«
»Zumindest sieht es so aus. Aber es kommt noch dicker. Nachdem Heike
am Schöppinger Berg stecken geblieben ist, hat sie dort eine verdächtige Person
beobachtet. Der Beschreibung nach könnte es Feth sein, daher hat sie seinen
Wagen gesucht, der ebenfalls auf dem Berg feststeckte. Es war tatsächlich ein
Seat Ibiza. Er war unverschlossen, und sie hat Fingerspuren gesichert und
Zigarettenkippen für einen möglichen DNA-Vergleich. Außerdem sagte sie, dass an den Pedalen Anhaftungen
von getrocknetem Schlamm und Gras klebten.«
Wie sie der Mörder in seinem Auto hätte hinterlassen müssen, nachdem
er Sandra im Straßengraben abgelegt hatte, dachte Hambrock.
»Und wo ist Feth jetzt?«, fragte er.
»Nun ja. Wenn er nicht in Schöppingen geblieben ist, wovon wir
ausgehen, dann könnte es sein, dass er versucht hat, nach Birkenkotten zu
gelangen. Soweit wir wissen, kennt er sonst nirgendwo im Münsterland …«
Guidos Stimme verschwand im selben Moment, in dem es dunkel wurde.
Hambrock saß in der stockfinsteren Diele, in der Hand das tote Funktelefon.
Oben hörte er die Kinder aufgeregt rufen, und dann war da Ingeborgs Stimme, die
beruhigend auf sie einredete.
Der Strom war weg. Ein Gefühl sagte ihm, dass es dieses Mal für
länger wäre.
Tilmann Feth war vielleicht in Birkenkotten. Genau wie Martin
Probst. Sie hielten sich irgendwo versteckt, und keiner konnte sagen, ob sie
eine Bedrohung für die Bevölkerung darstellten. Gleichzeitig brach die gesamte
Infrastruktur zusammen, die Bauernschaft war von der Außenwelt abgeschnitten,
und die Einsatzkräfte steckten im Schnee fest. Und nun begann auch noch die
Nacht.
Ein polizeilicher Albtraum.
Als Jens und Klara den Traktor auf dem Hof abstellten und
ins warme Haus flüchteten, wartete dort bereits ein halbes Dutzend Freunde von
der Birkenkottener Landjugend. Sie hatten es sich im überheizten Wohnzimmer
gemütlich gemacht, die Luft war geschwängert von Zigarettenrauch und
Glühweindunst, und Teelichter brannten in bunten Gläsern auf der Fensterbank.
Lina und Marc hatten zwei Filme mitgebracht, »Krieg der Welten« von Steven
Spielberg und »Star Trek: Nemesis«. Beides Filme, die Klara sich nicht
unbedingt ausgesucht hätte, doch heute war es ihr egal. Sie genoss es,
eingerollt in dem großen Sessel zu liegen, Glühwein zu trinken und dem
Geschehen auf dem riesigen Flachbildschirm zu folgen, den sich Jens im letzten
Monat von seinen Ersparnissen gekauft hatte.
Gerade versuchte Tom Cruise mit seinem Wagen einer gewaltigen
Explosionswelle zu entkommen, die ein ganzes Stadtviertel mitriss, da stand
Klara auf, um zur Toilette zu gehen.
»Spinnst du?«, fragte Marc ungläubig. »Du kannst doch jetzt nicht
aufs Klo gehen!«
Doch Klara lachte nur und schlurfte aus dem Wohnzimmer.
»Bring noch ein paar Flaschen Bier mit!«, rief Jens ihr hinterher.
Sie zeigte den erhobenen Daumen und zog die Tür hinter sich zu.
In der Bauernhausdiele war es angenehm kühl. Sie inhalierte die
frische Luft, ging ins Badezimmer und blieb vor dem Spiegel stehen. Das Gesicht
darin sah müde aus. Der Blick war leer, und unter den Augen lagen tiefe Ringe.
Sie sehnte sich so sehr danach, mal eine ganze Nacht
durchzuschlafen. Aber sie wusste bereits, dass sie bei Jens diese Ruhe nicht
finden würde, genauso wenig wie im Haus ihrer Mutter. Jens trank Glühwein in
einem Tempo, dass ihr schwindelig wurde. Und nun wollte er auch noch Bier.
Lange würde es nicht mehr dauern, bis er den Jägermeister aus dem Eisfach holen
und allen aufdrängen würde.
Sie berührte das Gesicht im Spiegel, doch unter ihren Fingern war
nichts als kaltes Glas. Denk nicht darüber nach, sagte sie sich. Lass dich
einfach treiben.
Dann ging sie in die Tenne, um das Bier zu holen. Hinter dem
Rasenmäher stand ein großer Kühlschrank, in dem die Familie ihre Getränke
lagerte. Dort gab es jede Menge gekühltes Bier und Limonade, dazu Schnäpse in
kleinen bunten Flaschen. Klara nahm ein paar Flaschen heraus und warf die
Kühlschranktür zu.
Hinter ihr stieß Rolf ein kurzes Bellen aus. Er stand vor der
geschlossenen Tennentür und versuchte, auf sich aufmerksam zu machen.
»Hallo, Rolf!« Klara stellte die Bierflaschen ab und breitete die
Arme aus. »Komm her zu mir! Komm!«
Doch der Hund blieb an der
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