Schneetreiben
Tennentür stehen. Mit schuldbewusstem
Blick sah er zu Boden, dann stieß er ein leises Bellen aus.
»Was ist denn los mit dir?«
Sie ging auf ihn zu. Er sprang einmal im Kreis und sah hinauf zur
Türklinke.
»Willst du etwa hinaus? Glaub mir, bei dem Wetter da draußen ist es
dir lieber, wenn du hier in der Tenne bleiben kannst.«
Sie legte die Hand auf die Türklinke. Der Hund bellte fröhlich auf
und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz.
»Na gut. Ganz wie du willst.«
Sie zog die Tür auf. Eiskalte Luft strömte hinein. Ein paar
Schneeflocken wirbelten in die Tenne, gingen zu Boden und schmolzen. Rolf
sprang auf die Schwelle und blieb abrupt stehen. Zögernd blickte er hinaus auf
den Hof. Der Schnee leuchtete, Abermillionen von Flocken schossen durch die
Luft, und an den Stallwänden reichten die Schneeverwehungen bis zu den
Fenstern.
Klara hockte sich neben den Hund und streichelte ihn. Gemeinsam
sahen sie hinaus in die Winterlandschaft.
»Es ist wunderschön, oder?«
Nach einer Weile ging eine Dachlawine von der Garage herunter. Zu
ihrer Überraschung würdigte der Hunde das Spektakel kaum eines Blickes. Nur
kurz sah er hinüber zu dem Schneeberg, dann blickte er wieder starr geradeaus.
Er interessiert sich gar nicht für den Schnee!, dachte sie erstaunt
und folgte seinem Blick. Auf der anderen Seite des Hofs befand sich die
Scheune. Sie stand wie ein dunkler Fels in der Dämmerung. Das große Tor war
fest verschlossen, aus der dahinterliegenden Schwärze drang nichts hinaus.
Klara betrachtete das Tor. Ein beklemmendes Gefühl erfasste sie.
»Ist da irgendjemand, Rolf?«
Die Antwort war ein kurzes Jaulen.
Hinter ihr ertönte eine Stimme. »Was machst du da?«
Erschrocken wirbelte sie herum. Es war Jens.
»Mein Gott, Jens! Du hast mich zu Tode erschreckt.«
»Was machst du denn da in der offenen Tür?«
»Rolf hat irgendwas gewittert. Keine Ahnung, was es war.«
Jens trat zu ihr und drückte die Tür ins Schloss.
»Er ist nur unruhig wegen des Wetters. Komm wieder ins Haus. Du
solltest im Moment nirgendwo alleine sein.«
Zunächst wollte Klara protestieren. Doch dann ließ sie sich von Jens
widerstandslos zurück ins Haus führen.
In der Bauernhausdiele angekommen, hörten sie plötzlich eine
blecherne Melodie durchs Haus schallen.
»Das ist mein Handy«, sagte Klara. »Ich hab es in meiner Jacke.«
Sie löste sich aus seiner Umarmung und schlüpfte durch die
Küchentür. Ihre Jacke hing über einer Stuhllehne, sie zog das Gerät aus der
Brusttasche und warf einen Blick auf das Display, um zu sehen, wer sie anrief.
Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Das Handy rutschte aus ihrer Hand
und schlug auf dem Küchenboden auf. Ihr wurde schwindelig. »Das ist unmöglich«,
flüsterte sie, »das ist einfach unmöglich.«
Die blecherne Melodie schwoll an. Jens stellte die Bierflaschen auf
dem Boden ab und lief herbei. Er sah sie fragend an, dann bückte er sich und
blickte ebenfalls auf den Namen im Display: Sandra Hahnenkamp.
14
Jens griff entschlossen nach dem Handy und nahm den Anruf
entgegen.
»Hallo, wer ist da?« Am anderen Ende knackte es. Die Leitung war
tot. Er sah Klara bedrückt an. »Hat aufgelegt.«
Dann gab er ihr das Handy zurück. Klara legte es auf den Küchentisch
und sank kraftlos auf die Bank.
»Das war nicht Sandra«, sagte er. »Wer immer das war, er hat nur von
ihrem Handy aus angerufen. Der muss es ihr abgenommen haben, als …«
»Es war Martin.«
Jens widersprach ihr nicht. »Dieser Typ ist ja total kaltschnäuzig«,
sagte er. »Er muss Sandras Handy eingesteckt haben, nachdem er sie ermordet
hat. Und jetzt hat er deine Nummer im Speicher entdeckt und sich einen Spaß
daraus gemacht, dir einen Schrecken einzujagen.« Jens zog einen Stuhl heran und
setzte sich zu ihr an den Tisch.
Klara schlug wütend mit der Hand auf den Tisch. »Was will dieser Typ
von mir?«
»Klara …«
»Was soll das denn alles? Hat er erst dann seinen Frieden, wenn er
mich ganz zerstört hat? Wenn nichts mehr von mir übrig ist? Ich will nicht,
dass der in meinem Leben ist! Ich will nicht, dass der mich terrorisiert!«
Ihr Wutanfall war so plötzlich verraucht, wie er gekommen war. Ihre
Stimme brach. »Ich will das nicht …«
Jens legte etwas unbeholfen seinen Arm um sie.
»Hey …«, flüsterte er. »Ist
schon gut.«
»Warum lässt der mich nicht in Ruhe?« Sie vergrub den Kopf in ihren
Händen. »Ich hab ihm doch nichts getan.«
Mit einem Mal stand Lina in der Küchentür. Als sie
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