Schneetreiben
sah, dass Klara
den Tränen nahe war, blickte sie ihre Freundin erschrocken an.
»Alles in Ordnung?«
»Alles okay«, meinte Jens.
»Kann ich irgendwie helfen?«
Schweigend wischte sich Klara über die Augen.
»Bitte lass uns einen Moment allein«, sagte Jens zu Linas
Überraschung.
»Bist du sicher?«, fragte sie an Klara gewandt. Offenbar traute sie
Jens nicht zu, sich um sie zu kümmern.
Klara blickte auf und nickte knapp, woraufhin sich Lina umdrehte und
die Küche verließ.
»Sieh es einmal so«, sagte Jens und versuchte, Zuversicht in seine
Stimme zu legen. »Wenn Martin Sandras Handy hat, dann wird ihm das zum
Verhängnis werden. Die Polizei kann ihn jetzt orten, verstehst du? Sie haben
die technischen Möglichkeiten dazu.«
Klara schniefte. »Wirklich?«
»Aber ja! Ich werde gleich bei deiner Mutter anrufen und dem
Kommissar Bescheid geben. Je eher dieser Hambrock alles Nötige einleitet, desto
besser.« Er lächelte aufmunternd und strich ihr über den Arm. »Geht’s wieder?«
Sie nickte. »Ich bin heute aber auch wirklich eine Heulsuse!«, sagte
sie und lachte.
Jens strahlte sie an. Es kam nicht häufig vor, dass er ihr bei etwas
behilflich sein konnte. Beinahe überschwänglich ging er zum Telefon und wählte
die Nummer von Frau Merschkötter.
Klara putzte sich die Nase und folgte ihm in die Diele.
»Ist besetzt«, sagte er. »Ich versuche es gleich noch mal.«
Sie blickte sich um. Die Bierflaschen standen noch immer mitten in
der Diele. Sie bedeutete Jens mit Handzeichen, dass sie ins Wohnzimmer gehen
und den anderen das Bier bringen würde. Er nickte und lauschte konzentriert in
den Hörer. Dann drückte er die Gabel und wählte erneut.
Die Wohnzimmertür war nicht geschlossen, Klara konnte aus dem Innern
Stimmen hören. Sie zögerte. Statt hineinzugehen, stellte sie sich an den Spalt
und lauschte.
Dabei stieß sie jedoch aus Versehen mit einer Bierflasche gegen den
Türrahmen. Ein dumpfer Laut entstand. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als
die Wohnzimmertür ganz zu öffnen und hineinzugehen.
Augenblicklich verstummte das Gespräch. Alle sahen sie erschrocken
an, dann wechselten sie vielsagende Blicke. Lina sah die anderen scharf an, als
wolle sie sagen: »Kein Wort!«, dann stand sie auf und ging Klara entgegen.
»Ist alles in Ordnung bei dir?«, fragte sie mitfühlend.
Klara nickte.
»Und wo ist Jens?«
»Der versucht gerade bei meiner Mutter anzu …«
Mit einem Schlag gingen das Deckenlicht und der Fernseher aus. Der
Trockner in der Waschküche blieb stehen, die Gefriertruhe verabschiedete sich
mit einem auslaufenden Rattern, und die Lichter auf dem Hof erloschen.
Das Wohnzimmer war nur noch von den Teelichtern in den bunten
Gläsern erhellt. Alle blickten sich erstaunt an.
»Was ist denn jetzt?«, fragte Lina.
»Der Strom ist weg«, meinte Klara. »Bestimmt nur eine kurze Störung,
der kommt gleich wieder.«
Sie bemerkte, dass Lina sie beobachtete. Für einen kurzen Moment lag
etwas Abschätzendes in ihrem Blick – als fragte sie sich, was Klara gehört
haben konnte. Dann war sie wieder wie ausgetauscht und lächelte freundlich.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte sie.
Klara setzte sich auf ihren Sessel. »Wir warten. Lange kann es ja
nicht dauern.«
Es war kurz nach acht. Guido Gratczek stand mit
verschränkten Armen am Fenster und blickte hinaus in das Schneetreiben, das
nach und nach die Straßen und Häuser rund um das Polizeipräsidium unter sich
begrub. Er hätte längst Feierabend machen können, doch das hatte er nicht übers
Herz gebracht. Es kam ihm schäbig vor, einfach nach Hause zu gehen und den
Fernseher einzuschalten, während seine Kollegen irgendwo da draußen in der
Kälte hockten und keiner wusste, wie es ihnen ging. Er hatte das Gefühl, er
müsse im Präsidium bleiben, nur für den Fall, dass sich jemand meldete.
Aber wer sollte schon anrufen? Kein Mensch würde auf die Idee
kommen, dass er die ganze Nacht über im Präsidium zu erreichen war. Am Ende
versuchte es noch jemand bei ihm zu Hause und konnte nicht verstehen, weshalb
keiner ans Telefon ging.
Er wandte sich vom Fenster ab und ging zum Schreibtisch. In diesem
Moment klingelte tatsächlich das Telefon. Es war Heike Holthausen. Na also!,
dachte er.
»Mensch, Guido! Gut, dass ich dich noch im Büro erreiche. Ich hatte
schon befürchtet, du wärst bereits zu Hause.«
»Von wo rufst du an?«
»Ich bin noch immer in diesem Gasthof am Schöppinger Berg. Die haben
hier noch so ein
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