Schneetreiben
den Augenblick schien das Problem behoben.
Guido Gratczek hatte zweimal angerufen, ohne eine Nachricht zu
hinterlassen. Bevor Hambrock sich darum kümmerte, rief er seine Frau an.
»Endlich meldest du dich!«, rief sie am anderen Ende. »Ich habe es
schon ein paar Mal probiert, aber dann hieß es immer: Der Teilnehmer ist
vorübergehend nicht erreichbar. Bist du denn noch in Birkenkotten?«
»Leider ja. Ich stecke hier fest.«
»Aber du wolltest doch heute Morgen schon zurück nach Münster
fahren, oder?«
Hambrock hörte den argwöhnischen Unterton in ihrer Stimme.
»Es schneit seit heute früh ununterbrochen«, sagte er. »Liegt denn
in Münster kein Schnee?«
»Schon, aber nur ein bisschen. Seit etwa einer Stunde bleibt er
liegen.«
»Erlend, wenn du mir nicht glaubst, kannst du den Wetterdienst
anrufen. Heike wollte mich eigentlich abholen, sie hat extra Winterreifen
aufziehen lassen, aber dann habe ich nichts mehr von ihr … Elli?«
Im ersten Moment dachte er, sie hätte einfach aufgelegt, doch dann
wurde ihm klar, dass das Netz erneut zusammengebrochen war. Wütend warf er das
Handy aufs Bett und lief in die Diele.
Ingeborg war oben bei den Kindern, er ging zur Treppe und rief
hinauf: »Ingeborg? Kann ich dein Telefon benutzen?«
»Natürlich!«, schallte es von oben, und er setzte sich an den
Telefontisch und rief sie wieder an.
»Wirst du denn heute Nacht wieder dort schlafen?«, fragte Erlend.
»Ich denke schon. Mir bleibt wohl nichts anderes übrig.«
Sie schwieg.
»Elli, verflucht, was soll ich denn machen?«, flüsterte er in die
Muschel, damit Ingeborg ihn nicht hören konnte. »Glaubst du etwa, das macht mir
hier Spaß? Wir haben einen Mörder und Vergewaltiger frei herumlaufen, und die
Einsatzkräfte stecken im Schnee fest. Wenn dieses verdammte Unwetter nicht
wäre, hätten wir ihn längst dingfest gemacht. Stattdessen aber haben wir hier
eine tickende Zeitbombe. Und überhaupt! Du solltest froh sein, dass ich nicht
irgendwo auf einer einsamen Landstraße in meinem Auto feststecke.«
»Ja, ja, du brauchst nicht gleich theatralisch zu werden. Natürlich
hoffe ich, dass bei euch alles gut läuft. Ich habe nur eine Frage gestellt.«
»Es tut mir leid. Glaub mir, ich wäre jetzt lieber bei dir. Aber das
geht nun einmal nicht. Elli, ich muss jetzt Schluss machen, Guido hat schon
mehrmals versucht, mich anzurufen.«
Obwohl es für ihn unüblich war, sich auf diese Weise am Telefon zu
verabschieden, sagte er: »Ich liebe dich, Elli.«
Sie zögerte. »Ich liebe dich auch.« Es klang jedoch nicht nach einem
Liebesschwur, sondern eher nach dem Abstecken einer Kampflinie.
»Bis bald«, sagte er, dann legte er auf. Nachdem er einmal tief
durchgeatmet hatte, wählte er die Nummer des Präsidiums.
»Mensch, da bist du ja! Ich hatte schon die Befürchtung, du liegst
unter einer Lawine begraben oder unter einem zusammengebrochenen Baum«, meinte
Gratczek. Im Gegensatz zu seiner Frau schätzte sein Kollege die Situation vor
Ort wenigstens realistisch ein, dachte Hambrock vergrätzt.
»Nein, nein. Alles in Ordnung, es geht mir gut. Ist Heike denn in
Münster geblieben? Sie wollte mich eigentlich abholen, aber ich habe nichts
mehr von ihr gehört.«
»Sie steckt auf dem Schöppinger Berg fest. Die Straße wurde
gesperrt, nachdem sich ein Bus quergestellt hatte. Eigentlich sollte die
Feuerwehr die Straße räumen, doch was inzwischen daraus geworden ist, weiß ich
nicht. Seit etwa zwei Stunden habe ich nichts mehr von ihr gehört.«
»Ich kann nicht glauben, was passiert!«, sagte Hambrock. »Ich bin
hier im Münsterland aufgewachsen, so etwas habe ich noch nie erlebt. Schnee im
November, und dann gleich solche Mengen. Sonst regnet es hier nur.«
»Gibt es denn Neuigkeiten von Martin Probst?«
»Er ist gesichtet worden, doch dann ist er wieder entkommen.«
Dass er selbst ihn im Morgenmantel verfolgt hatte, wollte er vorerst
lieber verschweigen.
»Jedenfalls versuchen wir alles, um ihn …«
Das Deckenlicht begann zu flackern, und einen Moment lang schien es,
als habe die Lampe ein Eigenleben entwickelt, dann war alles wieder vorüber.
»Hambrock? Bist du noch da?«
»Ja … Entschuldigung. Wir bleiben Probst auf der Spur, wollte ich
sagen.«
Gratczek räusperte sich. »Ich habe Neuigkeiten, die dir nicht
gefallen werden. Dabei geht es um Tilmann Feth.«
»Was ist mit ihm?«
»Er ist untergetaucht, nachdem wir erfahren haben, dass Sandra sich
kurz vor ihrem Tod von ihm getrennt hat.
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