Schneetreiben
mit dem Kaffee noch stand.
»Ich denke, Sie gehen jetzt besser.«
Sie wandte sich ab und drehte das Gas herunter. Die Flammen
erstickten, und das Wasser hörte auf zu kochen.
Hambrock stand auf und ging zur Tür. Plötzlich drehte er sich mit
einem gequälten Lächeln um.
»Entschuldigen Sie, aber darf ich vielleicht kurz Ihre Toilette
benutzen? Danach sind Sie mich auch los. Versprochen.«
Sie blickte verwirrt auf. »Wie bitte? Ach so. Natürlich.«
Mit einer fahrigen Handbewegung deutete sie nach oben.
»Vor der Badezimmertür stehen Eimer mit Wasser. Wir haben uns heute
Morgen ein Notstromaggregat geliehen und Wasser in Eimer gepumpt. Benutzen Sie
einen davon, aber seien Sie bitte sparsam.«
»Vielen Dank.«
Sie gab ihm eine Petroleumlampe, und Hambrock ging damit die Treppe
hinauf. Oben fand er die Tür mit den Wassereimern. Er blickte sich um. Es war
niemand im Obergeschoss zu sehen.
Unten in der Küche war die Stimme eines Mannes zu hören.
»Was ist hier los? Wem gehört das Auto?«
Offenbar war es Gisbert Ortmann, der Hausherr.
»Der Kommissar von der Mordkommission ist hier«, sagte seine Frau.
»Er hat gerade mit Christoph gesprochen.«
Sie begann ihrem Mann von der Befragung zu berichten, doch Hambrock
achtete nicht weiter darauf. Er schlich den Flur entlang, öffnete lautlos die
Türen und spähte in die dahinterliegenden Räume. Es dauerte nicht lange, bis er
Christophs Zimmer gefunden hatte. An den Wänden hingen Poster von Motorrädern
und Sportwagen, und auf dem Nachttisch stand ein alter Pokal des Fußballvereins
Schwarz-Weiß Birkenkotten.
Er schlüpfte hinein und schloss die Tür. Dann stellte er die
Petroleumlampe auf der Kommode ab und öffnete die oberste Schublade.
Unterwäsche und T-Shirts
lagen darin. In der zweiten Schublade Jeanshosen. In der dritten wurde er
fündig. Neben Christophs Schlafanzügen lagen seine Socken.
Hambrock durchstöberte das Fach, und tatsächlich dauerte es nicht
lange, bis er ein ganz besonderes Sockenpaar gefunden hatte. Giftgrüne
Wollsocken, offensichtlich selbst gestrickt. Am Bündchen der einen Socke hatten
sich die Maschen gelöst, ein loser Faden hing heraus.
Hambrock legte die Socken zurück und schloss leise die Lade. Er
wusste jetzt, wer in der Tatnacht die Gummistiefel getragen hatte.
23
Klara hatte sich die Kapuze ihrer Skijacke tief ins
Gesicht gezogen. Sie fühlte sich wie in einer Luftblase. Das Knarzen des festen
Stoffes war das einzige Geräusch, das sie hörte. Drum herum fiel lautlos der
Schnee.
Hier draußen ist es so friedlich, dachte sie. Als wäre ich ganz
allein auf der Welt.
Alles andere schien weit, weit weg. Der Stromausfall, der Streit mit
Jens, sogar die Angst vor Martin war für den Augenblick in den Hintergrund
gerückt. Sie fühlte sich einfach nur leicht und frei.
Klara stapfte durch den hohen Schnee, und irgendwann hörte sie den
Dieselmotor eines Notstromaggregats durch die Stille der Landschaft tuckern.
Hinter einer Kurve tauchte der Hof von Lütke-Brüning auf, dahinter auf dem
Hügel war das Haus ihrer Mutter. Sie war wieder zu Hause.
Das Tuckern wurde lauter, je näher sie kam. Sie blieb an der
Auffahrt des Bauernhofs stehen und lugte neugierig zum Haus und zu den
Wirtschaftsgebäuden. Zu ihrer Überraschung stand Marc im tiefen Schnee vor
einer Stalltür, neben ihm das ratternde Stromaggregat.
Was machte der denn hier? Mit ihm hatte sie am allerwenigsten
gerechnet.
Marc blickte auf und entdeckte sie ebenfalls. Er hob die Hand.
»Hi, Klara.«
»Hi.«
Sie blieb unschlüssig vor der Auffahrt stehen. Es wäre unhöflich,
jetzt einfach weiterzugehen. Doch ihr fiel nichts ein, was sie hätte sagen
können. Sie wusste nie, was sie mit Marc reden sollte, wenn Lina nicht dabei
war.
»Was machst du hier?«, fragte sie.
»Was soll ich schon machen? Ich helfe Bertolt beim Kühemelken. Wir haben
vom Technischen Hilfswerk ein Notstromaggregat bekommen und die Melkmaschinen
daran angeschlossen.«
Marc half beim Kühemelken? Seit wann waren denn Marc und Bertolt
Lütke-Brüning so gut befreundet?
Als hätte er ihren Gedanken gehört, sagte er: »Man muss doch
zusammenhalten in so einer Extremsituation. Für die Tiere ist der Stromausfall
viel schlimmer als für uns Menschen. Wegen der prall gefüllten Euter. Um sie
mit der Hand zu melken, sind es zu viele, und sie sind das auch gar nicht mehr
gewohnt. Sie treten aus, wenn man ihnen ans Euter will.«
»Aha.« Jetzt hielt er auch noch Vorträge über
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