Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
zu unterschätzen. Auch wenn er bisher so getan hat, als sei ich gar nicht anwesend.
»Tja, dass sie klug ist, glaube ich unbesehen, bei
dem
Vater«, lachte Papen und zwinkerte Verhoeven zu. »Und wie ich höre, malt sie auch sehr schön.«
Winnie schluckte. Das Letzte, was Nina für sie gemalt hatte, war ein Fisch. Nein, nicht
ein
Fisch.
Der
Fisch. Annabelle. Sie betrachtete Papens ausdrucksstarke Züge. Wusste er auch das?
Wie ich höre, malt sie auch sehr schön …
In der entgegengesetzten Ecke des Raumes stand ein hoher, geschmackvoll in Rot und Gold geschmückter Christbaum. Und an der Wand dahinter bemerkte Winnie eine Reihe von Fotos und gerahmten Kinderzeichnungen. FÜR OPA , las sie unter einem krakeligen Haus mit Jägerzaun. Und gleich darunter hing das fast schon obligate: OPA IST DER BESTE .
»Kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«, erkundigte sich in diesem Augenblick eine angenehme Frauenstimme in ihrem Rücken. »Oder irgendetwas anderes?«
»Nein, vielen Dank«, antwortete Verhoeven, doch Papen wischte die Ablehnung mit einer herrischen Geste vom Tisch.
»Selbstverständlich wollen sie Kaffee. Polizisten im Dienst wollen immer Kaffee, das weißt du doch. Und bring auch was von deinem Stollen, ja?« Er lachte. Eine Spur zu laut vielleicht. »Aber sagt mal, kennt ihr euch eigentlich?«
Verhoeven verneinte.
Und auch Papens Frau schüttelte umgehend den Kopf.
»Elsa ist Rheinländerin mit Leib und Seele, aber sie macht den verdammt allerbesten Dresdner Stollen, den du je gegessen hast.«
»Das klingt verlockend, aber …«, setzte Verhoeven aufs Neue an, doch die Hausherrin war bereits durch einen breiten Natursteindurchbruch in der angrenzenden Küche verschwunden. Als sie gleich darauf mit einem Geschirrtablett und einer Platte Stollen zurückkehrte, breitete sich eine tiefe Genugtuung über Will Papens Gesicht. Er hatte seine Frau im Griff, keine Frage. Und genau das auszustrahlen war ihm augenscheinlich wichtig.
Was
du
sagst, interessiert sie nicht die Bohne,
schien der Blick zu höhnen, mit dem er Verhoeven bedachte.
Doch der ließ sich nicht provozieren. »Was wir zu besprechen haben, dauert nicht lange.«
»Na schön, aber setzt euch doch wenigstens!«
Zähneknirschend nahmen Verhoeven und seine Kollegin an dem riesigen Esstisch vor dem Fenster Platz.
Woran erinnert mich dieses Gebaren?, überlegte Winnie, während sie Papens Profil studierte. Sie war sicher, erst vor kurzem jemandem begegnet zu sein, der sich ganz ähnlich benommen hatte. Vom Tonfall angefangen. Sie zermarterte sich den Kopf, aber die vergangenen Tage waren so ereignisreich gewesen, dass es ihr einfach nicht gelang, ihr Gefühl in einen bestimmten Zusammenhang einzuordnen. Ganz abgesehen davon, dass die Doppelbelastung aus Dienst und Tannengrund-Praktikum ihr allmählich an die Substanz ging.
»Es geht um einen verschwundenen Informanten«, erklärte derweil Verhoeven, und wenn man ihn gut kannte, konnte man an seiner Stimme ablesen, wie sehr es in ihm brodelte. Dass Papen ihn wie einen dummen Schuljungen behandelte, war ihm durchaus nicht einerlei.
»Aha.« Papen verströmte nichts als ungerührte Lässigkeit, während seine Frau Teller und Tassen auf dem Tisch verteilte und Kaffee einschenkte.
Verhoeven wartete geduldig, bis sie wieder fort war. Dann sagte er: »Der Name des Informanten war Bernd Zieser alias Jerry.«
War,
echote etwas in Winnie. Nicht
ist …
»Jerry? Ja, na klar«, sagte Papen ohne jede Überraschung. »Ich erinnere mich. Was ist mit ihm?«
»Nach allem, was wir wissen, ist er tot.«
Der BKA -Mann verzog ungläubig das Gesicht. »Aber um mir das zu sagen, kommst du doch nicht eigens her, oder?«
»Nein«, räumte Verhoeven lächelnd ein.
»Sondern?« Papen lächelte auch. Und allmählich wurde deutlich, dass sich hinter seiner jovialen Art ein erfahrener Stratege verbarg. Einer, der geduldig abwartete, welches Blatt sein Gegenüber auf der Hand hatte, um dann umso effektiver zurückschlagen zu können.
Winnie versuchte, sich ihn als Pique-Dame-Oberen vorzustellen. Als einen Mann, der andere mit brutalen Aufnahmeriten quälte und seine Macht genoss. Und wenn sie ehrlich war, bereitete ihr diese Vorstellung nicht die geringsten Schwierigkeiten.
»Uns würde interessieren, was für ein Mensch Bernd Zieser war«, sagte Verhoeven, und Winnie fragte sich, warum er ausgerechnet so in die Thematik einstieg. Allerdings hatten sie auch nichts abgesprochen.
Papen lehnte sich zurück.
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