Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
»Ehrlich?«
»Bitte.«
»Der Kerl ist das verdorbenste Stück Scheiße, das mir je begegnet ist.«
Winnie registrierte die Gegenwartsform sehr wohl. Aber Papen war auch nicht dumm. Sie blickte sich unauffällig um, und erst jetzt fiel ihr das Schachbrett auf, das auf einem separaten Tisch neben der ledernen Couch stand. Der Anblick ließ eine flüchtige Erinnerung in ihr aufdämmern. Etwas, das sie bislang übersehen hatte. Genau wie das Brett selbst …
Allerdings kam sie nicht dazu, den Gedanken zu Ende zu denken.
»Spielen Sie auch?«, riss Papens Stimme sie unvermittelt ins Hier und Jetzt zurück, und Winnie wurde schlagartig bewusst, dass sie sich verraten hatte.
»Sie meinen Schach?« Sie hatte Mühe, ihren Unmut über die eigene Nachlässigkeit zu verbergen. »Nein, ich fürchte, das ist nichts für mich.«
»Zu ungeduldig, was?« Das Fragezeichen war kaum zu hören. Offenbar glaubte Papen, die Antwort zu kennen.
Doch Winnie schüttelte trotzdem den Kopf. »Das nicht«, sagte sie, obwohl sie beide wussten, dass er recht hatte. »Es ist eher die Vorhersehbarkeit, die mich beim Schach stört. Ich mag lieber Spiele, bei denen man aus dem, was man hat beziehungsweise bekommt, das Beste machen muss.«
»Oho, eine Improvisationskünstlerin«, höhnte Papen.
»Wenn Sie so wollen.« Sie schenkte ihm ein entwaffnendes Lächeln, doch das prallte an ihm ab wie an einer unsichtbaren Mauer.
»Ich habe gehört, dass sie ganz passabel pokert für ein Mädchen«, wandte Papen sich sichtlich amüsiert wieder an Verhoeven.
»Weit besser als ich«, entgegnete dieser. »Aber zurück zu Jerry …«
»Klar, was willst du wissen?«
»Warum zwei Beamte von der SO vor zwanzig Jahren im Haus seiner Mutter waren, zum Beispiel.«
Geschickt, dachte Winnie. Er sagt nicht:
Warum
du
im Haus seiner Mutter warst …
Papen lachte laut auf. »Scheiße, ist dir klar, wie absurd sich diese Frage anhört?« Und als Verhoeven darauf nicht reagierte, setzte er seufzend hinzu: »Na, weil wir wissen wollten, wo er steckt.«
»Wir?«
»Das BKA .« Papen sah aus wie ein Kater, der Rahm gefressen hatte. »Der Kerl arbeitete für uns, wie du weißt.«
Verhoeven sah ihn an. »Das heißt, Sie waren einer der beiden Beamten, die Frau Zieser damals aufsuchten?«
Papen zog angesichts der förmlichen Anrede die Brauen hoch, unterließ es jedoch, sie zu monieren. Stattdessen sagte er: »So ist es.«
»Und der Besuch war offiziell?«
»Offiziell?« Er grinste. »Iwo. Ich meine, klar hätten wir es uns damals einfacher machen können. Wir hätten seiner Mutter reinen Wein einschenken, uns einen richterlichen Bescheid besorgen und dann ganz offiziell da reinspazieren können. Aber warum denn die arme Frau noch zusätzlich aufregen? Sie war sowieso schon in größter Sorge, weil sich der feine Herr Sohn von heute auf morgen nicht mehr bei ihr meldete. Aber eine Mutter bleibt nun mal eine Mutter, stimmt’s?«
Doch auch dieses Mal ließ Verhoeven sich nicht auf Vertraulichkeiten ein. »Und was genau haben Sie in Bernd Ziesers Zimmer gesucht?«
»Wie ich bereits sagte: einen Hinweis auf seinen Verbleib.« Papen hob die Hände. »Denn dass der gute Jerry noch lebt, stand für uns außer Zweifel.«
»Seine Mutter hielt ihn schon damals für tot«, widersprach Verhoeven.
Die Bemerkung entlockte Papen lediglich ein mitleidiges Schulterzucken. »Mag sein, dass er inzwischen irgendwo an einer Überdosis verreckt ist«, entgegnete er. »Aber wenn du mich fragst, hatte er damals einfach was Besseres vor, als Mami die Hand zu halten.«
Was Besseres, als achthunderttausend Mark in Empfang zu nehmen?, dachte Winnie. Wohl kaum!
»Okay«, startete Verhoeven einen neuen Versuch, den BKA -Mann festzunageln. »Darf ich fragen, in welcher konkreten Angelegenheit das Fachreferat für Geldwäsche mit Jerry zusammenarbeitete?«
»Wir waren damals schon längere Zeit an Marese dran«, antwortete Papen mit kollegial-freundlicher Bereitwilligkeit. »Und wie du wahrscheinlich weißt, hatte der seine Finger überall drin.«
Das schon, stimmte Winnie ihm in Gedanken zu, allerdings hat ihm niemand je was anhängen können. Oder wollen, korrigierte sie sich mit einem grimmigen Blick aus dem Fenster.
»Und Zieser hat auch für Marese gearbeitet, oder?«, fing Verhoeven unterdessen den Ball auf, den Papen ihm zugespielt hatte.
»Dieser Mistkerl hat für alles und jeden gearbeitet«, versetzte dieser achselzuckend. »Für uns, für euch und obendrein für jeden
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