Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
ganz.«
Olivier lachte und hustete zugleich. Es klang nicht gut.
Winnie überlegte, wie lange er noch durchhalten würde. Ein paar Wochen? Ein paar Tage? Er war zäh, kein Zweifel. Aber er wusste auch, dass der Gegner in seinem Körper nicht mehr zu besiegen war.
»Ich hatte selbst nie was mit diesem Scheißverein zu tun«, unternahm Olivier keuchend einen neuen Versuch, ihr Gespräch fortzusetzen.
»Das hatte ich auch gar nicht angenommen«, entgegnete Winnie, und eigenartigerweise war sie überzeugt, dass er die Wahrheit sagte, was das betraf. Olivier war nicht der Typ, der seine Seele abstrusen Ideologien verschrieb. Dafür war er viel zu profan. Und Geld hatte er mit dem, was er konnte, wahrlich genug verdient. Auch ohne organisierte Bereicherung. Vermutlich würde er im Angesicht von Kutten und Initiationsriten in schallendes Gelächter ausbrechen, dachte Winnie.
»Was ich Ihnen sagen könnte, basiert auf Gerüchten«, brummte er jetzt.
»Macht nichts.«
»Nach Meinung gewisser Leute hatte Mario nicht das Vermögen.«
Automatisch überlegte Winnie, ob Olivier die Formulierung mit Bedacht gewählt hatte. Vermögen …
»Das Vermögen wozu?«, fragte sie.
»Zur Leitung.«
»Sie meinen, es gab bereits zu Beltings Lebzeiten einen anderen an der Spitze der Organisation?«
Olivier zuckte die Achseln. »Sie haben mich nach meiner Meinung gefragt, und ich habe Ihnen gesagt, was ich gehört habe. Aber ich hatte, wie gesagt, nie selbst mit dem Laden zu tun. Bei dem, was ich Ihnen sage, handelt es sich um reine Spekulation.«
Er sah an Winnie vorbei, als sich die Tür in ihrem Rücken öffnete und eine Schwester im blau-weißen Kittel ins Zimmer trat.
»Zeit für Ihre Infusion.«
»Ich kann’s kaum erwarten«, kicherte Olivier. Und an Winnie gewandt fügte er hinzu: »Diese entzückende junge Dame hier hat seit ein paar Wochen gewissermaßen den Job meines Dealers übernommen. Und ob Sie’s glauben oder nicht, sie hat ein paar ganz ausgezeichnete Opiate im Angebot. Ein Ampüllchen von dem Zeug, und Sie denken wirklich und wahrhaftig, die Welt sei ein freundlicher, angenehmer Ort.«
Die Schwester verzog keine Miene. Stattdessen machte sie sich am Tropf neben dem Bett zu schaffen. Routiniert tauschte sie die halbleere Literflasche Kochsalzlösung gegen die kleinere Glasflasche mit dem Medikamentencocktail gegen Schmerzen und Atemnot. Als sie fertig war, warf sie Winnie Heller einen unmissverständlichen Blick zu:
Worauf warten Sie? Wollen Sie nicht endlich gehen?
Winnie ignorierte die versteckte Aufforderung und sah stattdessen stur aus dem Fenster. Es war stockfinster inzwischen. Nur noch ein paar Tage bis Heiligabend, dachte sie. Würde Olivier dann noch leben? Und was würde er tun, an diesem furchtbarsten Tag des Jahres? Würde er fernsehen? Schlafen? Was würde sie selbst tun? Augen zu und durch, so wie jedes Jahr?
Papa hat Alzheimer …
»Sie müssen jetzt gehen«, formulierte die Krankenschwester ihre Botschaft nun deutlicher.
»Ich bin sowieso fast fertig.«
»Ich meine, jetzt sofort.« Sie regulierte das Tempo der Infusion, während Winnie nach ihrer Jacke und Handtasche griff.
»Sie meint es nicht böse«, keuchte Olivier. »Sie ist bloß eine von denen, die ihren Job ernst nehmen.«
»So ist es«, erklärte die Schwester und blieb mit herausfordernder Miene neben Winnies Stuhl stehen.
»Ich habe noch eine letzte Frage«, bat Winnie.
»Nein«, sagte die Pflegerin.
»Doch«, versetzte Olivier, und für einen flüchtigen Moment glomm in den Tiefen seiner Augen ein Abglanz jener Stärke und Macht auf, die der fette kleine Mann unter der Decke einst besessen haben musste. Dann wandten seine Froschaugen sich Winnie zu. »Na los, fragen Sie.«
»Kannten Sie einen Informanten namens Jerry?« Winnies Hand streifte die Bettdecke und setzte vorsichtshalber hinzu: »Im wahren Leben hieß er Bernd Zieser.«
»Ja, den kannte ich.«
»Wissen Sie zufällig, wo ich ihn finden kann?«
»Wenn ich mich nicht irre, werd ich ihn in Kürze treffen.« Das Schmerzmittel ließ Oliviers Züge noch weicher erscheinen.
»Sie meinen, er ist tot?«
»Klar.«
»Und … wie war er als Mensch?«
»Ein Träumer«, stöhnte Olivier. »Und sehr intelligent.«
Winnie beugte sich dicht an sein Ohr. »Kennen Sie noch irgendwen, der mir mehr über Beltings letzte Zeit erzählen kann?«, fragte sie eindringlich. »Ich muss denjenigen finden, der ihn beerbt hat.«
»Das reicht jetzt«, fuhr die Schwester sie an, und
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