Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
raffte die Zusammenhänge auch nur ziemlich langsam. Aber wenn’s nach ihm gegangen wäre, hätten wir gleich bei den Highlights angefangen.«
»Ich fürchte, das verstehe ich nicht«, gab Winnie zu.
Carson grinste. »Wenn ich was mach, dann mach ich’s systematisch«, erklärte er. »Erst die Basics. Dann der Rest. Aber dieser Typ wollte gleich am ersten Tag wissen, was ’ne verdammte Rochade ist!«
Eine Rochade …
Rochade … Roger! Die Erkenntnis durchzuckte Winnie wie ein Blitz. Der mysteriöse »Roger«, von dem Miriam Bandow ihr berichtet hatte, war gar keine Person, sondern ein Spielzug!
Spielen Sie Schach?,
höhnte Will Papen hinter ihrer Stirn.
»Und was genau ist eine Rochade?«, wandte sie sich wieder an Carson.
Der verdrehte die Augen. »Fangen Sie auch schon so an?«
Winnie ging auf den Scherz ein und hob entschuldigend die Achseln. »Tut mir leid, aber ich muss das wirklich wissen.«
Zu ungeduldig, was?
»Vielleicht sollte ich ’n Lehrauftrag in dem Bereich annehmen.« Er kratzte seinen Bart. »Die Nachfrage ist ja wohl vorhanden.«
»Sieht so aus.«
»Okay, Lady. Ich mach’s ganz simpel. Eine Rochade ist der einzige Doppelzug beim Schach, das heißt der einzige Zug, bei dem zwei Figuren einer Farbe gleichzeitig bewegt werden. Verstanden?«
Winnie nickte.
»In unserem Fall tauscht der Turm seine Position mit dem König, wobei Sie zwischen einer kleinen und einer großen Rochade unterscheiden müssen.« Winnie schloss die Augen und versuchte sich ein Schachbrett vorzustellen, während Carson munter weiterredete: »Bei der kleinen tauscht der König mit dem Königsturm, bei der großen mit dem Damenturm. Grundvoraussetzung für beide ist, dass weder der König noch der betreffende Turm vorher bereits bewegt wurden.« Er warf ihr einen prüfenden Blick zu. »Was ist? Kommen Sie noch mit?«
»Doch, doch«, sagte Winnie. »Ich denke schon.«
»Gut. Sie müssen noch ’ne ganze Reihe anderer Voraussetzungen erfüllen, damit Sie eine Rochade durchführen dürfen«, fuhr Carson fort, »zum Beispiel, dass kein Feld, über das Ihr König gezogen wird, akut vom Gegner bedroht sein darf. Aber das alles auseinanderzuklamüsern, wird wirklich zu kompliziert.«
Winnie nickte. »Und das Ziel des Ganzen ist …?«
Carson zuckte die Achseln. »Dass Sie Ihren König aus dem Zentrum und damit in eine sicherere Position bringen und gleichzeitig Ihrem Turm eine größere Bewegungsfreiheit verschaffen.«
6
»Ackermann hat Boris Mang systematisch ausgehorcht und auf diese Weise jede Menge Informationen gesammelt«, resümierte Winnie, als sie kurz darauf wieder im Präsidium war. »Über die Pique Dame, ihre Mitglieder und deren Decknamen. Aber manches, was Mang redete, verstand er nicht, weil es dabei um Spielzüge ging. Züge eines Spiels, das er nicht beherrschte.«
»Und deshalb hat er sich schlau gemacht«, schloss Bredeney, der sich ganz offenkundig freute, dass er etwas Hilfreiches beigesteuert hatte.
»So ist es.« Winnie kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. »Allerdings ist mir noch nicht ganz klar, was Ackermann daraus für Schlüsse zog.«
»Woraus?«, fragte Verhoeven, der gerade hereingekommen war.
»Aus dem besonderen Kniff der Rochade.« Winnie lehnte sich zurück. »Aber irgendwas daran muss wichtig sein, so extrem, wie Ackermann darauf reagiert hat.«
Werneuchen stellte einen Becher mit Tee vor sie hin. »Aber wenn er Boris Mang tatsächlich im Auftrag der Pique Dame getötet hat …Wofür brauchte er dann eigentlich noch eine Liste der Mitglieder? Ich meine, hatten die Pique-Dame-Leute ihn denn nicht schon für den Mord an Mang bezahlt?«
»Das war wahrscheinlich eine Preisfrage«, entgegnete Verhoeven. »Das Honorar für einen Auftragsmord – das ist die eine Sache. Aber wenn man obendrein im Besitz derart brisanter, sprich: wertvoller Daten ist, kann man unter Umständen ja noch ganz andere Summen rausschlagen.«
»Ja«, sagte Winnie, »so ähnlich sehe ich das auch.« Sie roch an ihrem Becher und verzog angewidert das Gesicht. »Was ist das?«
Werneuchen strahlte sie an. »Wie wär’s, wenn du’s einfach mal kostest?«
»Ich denke nicht dran, bevor ich nicht weiß, was es …«
»Rooibos Lemongras-Litschi.«
»Hä?«
Bredeney grinste und wiederholte den Namen mit lustvoller Deutlichkeit.
»Himmel«, stöhnte Winnie, »das klingt wie der schielende Schwiegersohn irgendeines indischen Maharadschas.«
»Ich habe auch Weihnachtstee da, falls du den lieber
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