Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
können«, sagte Olivier, »aber mir kam es immer vor, als tangiere ihn überhaupt nichts.«
Winnie hob die Brauen. »Wollen Sie damit sagen, Mario war gefühlskalt?«
Und dieses Mal kam die Antwort sehr schnell und sehr sicher: »Oh ja, das ganz bestimmt. Aber da war noch was anderes …«
Winnie entschied sich, ihn in Ruhe überlegen zu lassen.
»Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll, aber er … er kam mir immer ein bisschen wie eine Marionette vor. Schon als kleiner Junge.« Kaspar Olivier lachte wieder sein heiseres Lachen. »Schönes Wort in dem Zusammenhang, nicht wahr? Mario-nette! Aber genauso kam er mir vor. Als ob er tief in seinem Innern bereits lange Zeit, bevor wir uns kennenlernten, gestorben wäre.«
»Vielleicht war das seine Art, mit den Dingen fertigzuwerden«, schlug Winnie vor.
»Ja«, sagte Olivier, »vielleicht.«
»Mario starb an einem Herzinfarkt, nicht wahr?«, brachte Winnie ins Spiel, was sie aus Werneuchens Recherchen wusste.
»Ja.« Oliviers Miene zeigte überdeutlich, wie wenig er von Leuten hielt, die die Welt der Lebenden derart kampflos verließen. Zugleich streiften seine Augen die Sauerstoffflasche neben seinem Sessel, als müsse er sich vergewissern, dass sie richtig funktionierte. Dass ihm keine Gefahr drohte. Zumindest nicht unmittelbar. »Seine Putzfrau fand ihn tot im Bad, als sie morgens zur Arbeit kam.«
»Er war nie verheiratet oder fest gebunden?«
»Nein, soweit mir bekannt ist, war er zeit seines Lebens allein.«
Als ob er tief in seinem Innern bereits gestorben wäre …
»Aber ein attraktiver Mann wie er hatte doch bestimmt Beziehungen?«
Und wieder dieser weise Blick, der Winnie an einen alten, fetten Uhu erinnerte. »Also, Beziehungen würde ich das nicht nennen.«
»Sondern?«
»Lassen Sie es mich mal so ausdrücken: Wenn Mario eine Frau haben wollte, nahm er sich eine. Und ansonsten zog er es vor, sein Leben zu leben.«
»Ohne Verpflichtungen, meinen Sie?«
»Genau, ohne Verpflichtungen.« Grinsen. »Hat vielen seiner Gespielinnen nicht geschmeckt, könnte ich mir denken. Aber es scheint nie einer von denen gelungen zu sein, ihn in Ketten zu legen.«
»Hat Marios Tod Sie überrascht?«, fragte Winnie vorsichtig. Sie wollte nicht suggestiv sein, aber sie musste auch abchecken, ob es hinsichtlich der Todesursache irgendwelchen Raum für Zweifel gab.
Seine Putzfrau fand ihn tot im Bad …
»Ja, hat er«, antwortete Olivier unterdessen. »Komisch, dass Sie das fragen. Ich meine, natürlich hat er nie was anbrennen lassen. Und ’n bisschen Fett hatte er über die Jahre auch angesetzt. Aber ich könnte nicht sagen, dass er auch nur im Entferntesten so geaast hätte wie ich.« Seine Wurstfinger strichen stolz über seinen massigen Bauch, in dem der Krebs wütete, gnadenlos und unaufhaltsam. Stolz, obwohl er in absehbarer Zeit zweifellos mit seinem Leben bezahlen würde für das, was er seinem Körper angetan hatte.
Winnie nickte. »Wissen Sie zufällig, ob Mario jemals zuvor Probleme mit dem Herzen hatte? Vor seinem Tod, meine ich.«
»Ich hab nie was gehört.«
»Und wer übernahm seine Nachfolge?«
Ihr Angriff überraschte Olivier kalt, das konnte sie deutlich sehen.
»Sie meinen, bei der Staatsanwaltschaft?«, fragte er, um Zeit zu gewinnen. Sie wussten beide nur zu gut, dass sie nicht die Staatsanwaltschaft meinte.
»Nein, ich meine die Nachfolge als Kopf der Pique Dame«, antwortete Winnie, ohne eine Miene zu verziehen. »Oder sollte ich besser sagen: als Imperator?«
Olivier starrte sie an. Eine seltsame Mischung aus Wut und Anerkennung. Bis zu diesem Moment hatte er sie nicht für voll genommen, das war offensichtlich. Aber er war erfahren genug, um den Fehler rasch zu korrigieren.
»Sieh an«, sagte er nur.
Dann versank er in ein tiefes, bleiernes Grübeln.
Winnie wartete geduldig ab, während er sich sein Bild machte. Sie wusste, viel würde davon abhängen, zu welchem Schluss er kam. Wenn er erst begann, Fragen zu stellen, würde er schnell merken, wie wenig sie wusste.
Aber falls nicht …
»Die weitaus interessantere Frage ist meiner Meinung nach nicht die der Nachfolge als solcher«, sagte Olivier in diesem Augenblick. Offenbar hatte er seine Entscheidung inzwischen getroffen.
»Sondern?«
Noch so ein prüfender Blick. Dann das endgültige Urteil: Test bestanden. »Die weitaus interessantere Frage ist, ob es, was diese Dinge anging, überhaupt was zu übergeben gab …«
»Ich fürchte, das verstehe ich jetzt nicht
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