Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
lang wieder Papens Wohnzimmer vor ihr aufblitzte.
Ich mag lieber Spiele, bei denen man aus dem, was man hat beziehungsweise bekommt, das Beste machen muss …
»Und dann?«, fragte Verhoeven.
»Ich kann mich irren«, gab sie zu, »aber wenn ich richtigliege, habe ich von diesem Augenblick an ein Zeitfenster von wenigen Minuten, um jemandem den Arsch zu retten.«
16
Das rote Alarmlicht leuchtete ihr von der hohen Decke entgegen, als sie das Dienstzimmer der Station erreichte. Sie hatte ganz bewusst den anderen Treppenaufgang genommen. Den, auf dem ihr Thalau und Nicole nicht begegnen würden. Und wenn sie sich nicht irrte, hatte Cordula Belting es genauso gemacht. Immerhin hatte sie noch etwas Wichtiges zu erledigen, damit ihr Plan aufgehen konnte. Etwas, mit dem sie unbedingt hatte warten müssen, bis Söhnleins Leiche entdeckt worden war.
Ihren letzten Zug gewissermaßen.
Das endgültige Matt …
Hinter der Theke des Dienstzimmers flimmerte noch immer der Fernseher vor sich hin. Doch der interessierte Winnie nicht. Sie streifte ihre Clogs von den Füßen und legte die restlichen Meter auf Strümpfen zurück, um keinen unnötigen Lärm zu machen.
Was für eine geniale Strategin!, dachte sie mit einer Mischung aus Anerkennung und Abscheu. Es ist dasselbe Muster, wie Ackermann es damals benutzen wollte. Nur dass es dieses Mal keine bösen Überraschungen gegeben hätte. Das Rezept ist ganz simpel: Man nehme ein Mitglied des Pflegepersonals. Jemanden, dessen Biographie genügend Spielraum bietet und der unzweifelhaft sowohl über eine Gelegenheit als auch über die nötigen Mittel verfügt. Jemanden wie Ines Heider. Oder Jörg Thalau. Sie nickte leise vor sich hin. Ein Mann mit Burn-out-Syndrom. Jemand, der großen Belastungen nicht dauerhaft standhält. Der labil ist und deshalb sogar einen weitaus besser bezahlten Job hingeschmissen hat. Kurzum: Der ideale Sündenbock.
Von seiner Persönlichkeit her ist der typische Todesengel in aller Regel eher verschlossen, oder aber er steckt zum Zeitpunkt der Tat in einer signifikanten persönlichen Krise,
nickte Amanda Kerr in ihrem Kopf.
Oft findet man auch verschiedenste Formen mentaler Instabilitäten in der Vorgeschichte solcher Täter, einschließlich der entsprechenden krankheitsbedingten Fehlzeiten …
Wie simpel, dachte Winnie. Und wie effektiv!
Man brauchte die Sache nur von langer Hand vorzubereiten. Ein paar zerschlitzte Möbel und Fäkalien, damit auch ja möglichst viele Leute mitbekommen, dass es in diesem Haus jemanden gibt, der nicht richtig tickt. Dann ein paar gezielte Diebstähle, die für zusätzlichen Aufruhr sorgen. Und zum krönenden Abschluss ein fingierter Feueralarm, um den zum Sündenbock auserkorenen Pfleger aus dem Schwesternzimmer fortzulocken, wo er gerade die Medikamente für die Nacht sortiert …
Bestimmt hat sie Söhnleins Pillen gegen irgendetwas Tödliches ersetzt, dachte Winnie, indem sie nun auch wieder ihre Waffe hervorzog. Und wahrscheinlich hat sie auch den Feueralarm ein paarmal geprobt, um sicherzugehen, dass sie die Abläufe genau kennt.
Das ist das dritte Mal,
seit ich hier bin, gab ein imaginärer Thalau ihr recht.
Im Keller war’s ein brennender Wäschehaufen. Und in der Bibliothek muss irgendwer wohl ein Feuerzeug in die Nähe des Rauchmelders gehalten haben …
Ein guter Schachspieler zeichnete sich dadurch aus, dass er weit im Voraus plante. Dass er alle möglichen Züge seines Gegners vorausberechnete. Und dass er auf sämtliche Eventualitäten gefasst war. Und Cordula Belting war zweifellos eine brillante Strategin. Die Beweise gegen Söhnlein waren platziert. Der Imperator war tot.
Fehlten nur noch die Beweise gegen seinen Mörder …
Die Männerumkleide lag auf der anderen Seite des Gangs. Und die Tür war nur angelehnt. Dahinter brannte Licht.
Automatisch fasste Winnie die Waffe fester.
Sie ist eine alte Frau, widersprach etwas tief in ihr.
Nein, brachte sie sich selbst zur Räson. Sie ist noch immer brandgefährlich.
Der Teufel in Menschengestalt …
Sie berührte die Tür mit den Fingern der linken Hand und schob sie auf, so leise sie konnte. Das Erste, was sie sah, war ein schmales Waschbecken. Dahinter eine Reihe von Spinden. Einer davon war geöffnet. Die rostige Tür verdeckte die Sicht auf die Person, die dahinter stand.
»Cordula Belting!«, schrie Winnie, indem sie einen entschlossenen Schritt in den Raum hinein machte. »Polizei!«
Sie sah nur ein Paar Füße. Alte Füße in roten
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