Schneetreiben: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
Heim lebte. Aber das höre ich heute zum ersten Mal.«
»Die vollen Namen von Ackermanns Opfern wurden damals aus gutem Grund nirgendwo erwähnt.« Werneuchen ließ sich schwer auf einen der Stühle fallen. »Weder in der Presse noch sonst wo in der Öffentlichkeit.«
»Eigentlich spricht sich so was doch rum.« Bredeney schüttelte den Kopf. »Ich meine, so unter Kollegen …«
»Würde mich vielleicht auch mal jemand aufklären?«, beschwerte sich Winnie. »Ich verstehe nämlich nur Bahnhof.«
»Boris Mang hat eine Zeit lang hier im KK 11 Dienst getan, bevor er zur Abteilung für schwere und organisierte Kriminalität ins BKA wechselte«, erklärte Werneuchen. »Guter Mann, nach allem, was man so hört.« Sein Blick suchte Bredeney.
Doch der Veteran des KK 11 reagierte ungewohnt zurückhaltend. »Ich hatte früher hin und wieder mal mit ihm zu tun«, sagte er, und Winnie Heller beschlich das dringende Gefühl, dass er einer eindeutigen Stellungnahme ausweichen wollte. »Aber wir haben uns irgendwann aus den Augen verloren. Wie das eben so ist. Aber …«, seine Augen glitten hoch zur Decke, während er nachrechnete, »… so alt kann der doch eigentlich noch gar nicht gewesen sein.«
»Boris Mang war einundsiebzig, als er starb«, stimmte Werneuchen ihm zu. »Allerdings war er an Alzheimer erkrankt. Und er hatte das Pech, dass die Krankheit bei ihm außergewöhnlich schnell voranschritt.«
»Alzheimer, hm?« Bredeney starrte sinnend vor sich hin. Die Neuigkeiten, die der Kollege ihnen da unterbreitet hatte, nahmen ihn sichtlich mit.
»Was ist mit den beiden anderen Opfern?«, fragte Winnie, die sich inzwischen an den Kopien bedient hatte. »Hatten die auch Alzheimer?«
Werneuchen verneinte und setzte eben zu weiteren Erläuterungen an, als die Tür aufging und Verhoeven hereintrat. Hinnrichs folgte ihm auf dem Fuße.
Verhoeven begrüßte seine Kollegen mit einem flüchtigen Lächeln, während Hinnrichs geradewegs auf die Thermoskanne mit dem Kaffee zusteuerte. Vielleicht hatte er auch verschlafen. Oder seine Sekretärin war krank.
»Frau Doktor Kerr ist auf dem Weg zu uns«, verkündete er, ohne Winnie Heller auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen. »Wird interessant werden.« Er sah Werneuchen an. »Es wäre gut, wenn Sie uns vorher kurz ins Bild setzen könnten. Bezüglich der damaligen Opfer, meine ich.«
»Ich bin gerade dabei«, antwortete Werneuchen, der trotz seiner Jugend eine – wie Winnie fand – absolut bemerkenswerte Gelassenheit ausstrahlte. »Und alles, was wichtig ist, habe ich hier zusammengefasst.« Er wedelte mit seinen Papieren.
»Gut, gut.« Hinnrichs bedachte ihn mit einem seiner gefürchteten Pfeilblicke. Dann schnappte er sich eine Kopie vom Tisch. »Fahren Sie fort.«
»Das erste Opfer der Serie war Karlheinz Rogolny. Ehemaliger SS -Offizier und zum Zeitpunkt seines Todes neunundachtzig Jahre alt.«
Winnie Heller betrachtete die beiden Fotografien, die Werneuchen seinen Infoblättern beigeheftet hatte. Sie zeigten einen großen, hageren Mann mit dunklem, erstaunlich vollem Haar und graugrünen Augen. Auf dem ersten Bild mochte Rogolny etwa sechzig sein. Das zweite hingegen schien nicht lange vor seinem Tod aufgenommen worden zu sein. Zumindest wirkte er deutlich älter.
» SS -Offizier, was?«, brummte Hinnrichs, der ebenfalls gerade bei den Fotos war. »Was hatte er denn für braunen Dreck am Stecken?«
»Rogolny kommandierte 1944 eine kleine Aufklärungseinheit an der Grenze zwischen Polen und Weißrussland«, antwortete Werneuchen, während Winnie Hellers Augen noch immer an Karlheinz Rogolnys markantem Gesicht klebten. »Bei Dabravolja, etwa fünfzig Kilometer südöstlich von Bialystok, geriet er mit seinen Männern in einen Hinterhalt weißrussischer Partisanen und verlor vier Kameraden.« Er legte seine Aufzeichnungen beiseite und blickte in die Runde seiner Kollegen. »Rogolnys Antwort auf diesen Verlust bestand in der Anordnung, ein Hundertsiebzig-Einwohner-Dorf dem Erdboden gleichzumachen.«
»Mit anderen Worten, er befahl ein Massaker«, stellte Hinnrichs trocken fest.
»So sieht’s aus«, pflichtete Werneuchen ihm bei. »Er galt unter seinesgleichen übrigens schon immer als absolut linientreuer Nationalsozialist, auch wenn er es später – im Gegensatz zu manch anderem Kriegsverbrecher – tunlichst vermieden hat, irgendeine politische oder weltanschauliche Meinung zu äußern.«
»Feige war der Kerl also auch noch«, knurrte Hinnrichs.
»Feige
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